Architektur Forum Ostschweiz

Anwalt der stummen Mauern

Ein ehrwürdiges und geschütztes Ensemble wie das Klostermuseum St.Georgen in Stein am Rhein braucht ständige Pflege. Der St.Galler Architekt Thomas K.Keller hat sich acht Jahre lang in den Dienst der alten Mauern gestellt.

Beitrag vom 22. April 2017

Text: Caspar Schärer

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Architektur ist ein weites Feld. Häuser bauen ist nur eine von vielen Aufgaben der Disziplin. Grundsätzlich erstreckt sich Architektur auf alles – von der Stadt bis zum Stuhl. Manche Architektinnen und Architekten nehmen das sehr ernst und beanspruchen die Gestaltungshoheit über die ganze Bandbreite der räumlichen Fragen. Das hat seine Vorteile, kann aber mit unter für die anderen Beteiligten etwas anstrengend werden. Wie so oft ist alles eine Frage der Dosis und der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Einerseits kann man nicht früh genug anfangen mit der Architektur: Im Februar wurde an dieser Stelle vom Agglomerationsprogramm Wil West berichtet, einem hochkomplexen Planungsinstrument, bei dem die Parameter für ein künftiges Gewerbegebiet festgelegt werden. Man würde meinen, dass da die Architektur noch weit weg ist, aber inzwischen ist die Erkenntnis gewachsen, dass auch «technische» Dinge wie Autobahnanschlüsse räumliche Auswirkungen in einem grossen Umkreis haben. Und auch ein Arbeitsplatzgebiet verdient es, dass es sorgfältig und gut geplant wird.

Heute blicken wir an das andere Ende des Spektrums, denn auch im kleinsten Detail eines Gebäudes steckt Architektur und es kommt darauf an, wie man diese oder jene Ecke löst. Gerade bei alten und ehrwürdigen Gebäuden, die vielleicht sogar unter Schutz stehen, tut sich da bei näherer Betrachtung eine ganze Welt auf. Das Haus scheint fast zu leben. Thomas K.Keller, Architekt in St. Gallen, konnte sich in den letzten Jahren gründlich in ein besonderes Gebäude vertiefen. Seinem Büro wurde die Aufgabe «Bestandspflege eines Baudenkmals » für den über tausend Jahre alten Benediktinerkonvent St. Georgen in Stein am Rhein anvertraut. Alles begann im Frühling 2008 mit dem Einbau eines neuen Kassamöbels im Eingangsraum. Damit war auch schon der für Aussenstehende sichtbarste Teil der Arbeit abgeschlossen. Es folgte noch im Herbst des gleichen Jahres die Renovation der Fassaden der ehemaligen Äbte-Wohnhäuser direkt am Rhein. Nach und nach tauchten weitere Stellen auf, die Aufmerksamkeit und Pflege verdient hätten, und so wurde 2011 eine minutiöse Untersuchung des baulichen Zustands vorgenommen. Auf dieser Basis konnten ganz verschiedene Unterhaltsarbeiten in Angriff genommen werden. Jede einzelne hatte ihre Eigenheiten. Das hat vor allem mit der wechselhaften Vergangenheit des Klosters zu tun.

Historisch bedeutsame Anlage gehört dem Bund In der bisherigen Geschichte des Konventes St. Georgen lassen sich grob zwei Abschnitte unterscheiden: In den ersten fünfhundert Jahren bis zur Auflösung im Zuge der Reformation wurde nach und nach die ganze Anlage erstellt; in den folgenden Jahrhunderten wurde das Gebäudekonglomerat von Verwaltungsbeamten genutzt und nur noch beiläufig unterhalten. Im 19. Jahrhundert waren die Gemäuer wirklich baufällig und die Gemeinde wusste nicht mehr recht, was damit anfangen. Gewerbebetriebe nisteten sich ein, Seidenraupen wurden gezüchtet und in den Höfen übten Kadetten und Turner.

Dass das Ensemble überhaupt erhalten ist und sogar unter Schutz steht, ist dem Berner Professor Ferdinand Vetter zu verdanken. Sein Vater kaufte 1875 die bedauernswerten Gebäude; er selbst kümmerte sich rührend um die Restaurierung und stellte seinen Besitz 1891 unter den Schutz der Eidgenossenschaft. Heute zählt das Kloster St. Georgen zu den wenigen historisch bedeutsamen Anlagen, die dem Bund gehören. Seit 2012 betreibt das Bundesamt für Kultur das Klostermuseum, das nur sich selber ausstellt. Bekannt ist es vor allem fü̈r den gotischen Festsaal mit den prächtigen Fresken.

Ferdinand Vetter war ein begeisterter Anhänger der Spätgotik und Renaissance und kaufte in der halben Schweiz Interieurs zusammen, die er in seinem Kloster einbaute. So stammt etwa die mächtige Holzdecke mit imposanter Stütze im Sommerrefektorium nicht aus dem Mittelalter – zumindest nicht aus dem Mittelalter in Stein am Rhein. Das macht die Sache nicht einfacher, wenn es um die denkmalpflegerische Sanierung geht. Denn was ist hier «original» und was hinzugefügt? Und was bedeutet überhaupt «original»? Hinzu kommt, dass sich die Vorstellungen von Denkmalpflege in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben.

Als sich in der Nachkriegszeit der Bund an die enorme Aufgabe der Konservierung und Restaurierung machte, standen didaktische Aspekte im Vordergrund: Gerne zeigte man damals klar und deutlich das Erforschte und Entdeckte, ergänzte nach Bedarf «im Stile von», damit Besucherinnen und Besucher unmissverständlich ablesen konnten, was neu hinzugefügt wurde. Heute ist die Denkmalpflege bei allen Massnahmen viel zurückhaltender; das Konzept nennt sich «konservierende Substanzerhaltung».

Architekt Thomas Keller zeigt im Kreuzgang, was das konkret heisst. Bei den Deckenmalereien in den Netzgewölben stand man vor der Frage, ob die abgeblätterten und verwitterten Stellen aufgefrischt und ergänzt werden sollen – und entschied sich dagegen. Die Verlockung war zwar gross, so Keller, aber das sei dann nicht mehr «Respekt vor dem Altern»,das Akzeptieren von Patina, Spuren und eben auch von Verlusten. «Reinigen,sichern,festigen»heisst heute die neue Devise. Aber braucht es dafür überhaupt einen Architekten?

«Es braucht ihn unbedingt», betont Keller, «denn jemand muss sich unverbrüchlich für die Gemäuer einsetzen. Sonst tut es niemand.» Der Architekt sei sozusagen der Anwalt der stummen Mauern. Gefragt seien Neugier, eine breite Fachkenntnis – auch und besonders im Handwerklichen – sowie eine gehörige Portion Demut. Wer die grosse Geste sucht, ist hier fehl am Platz. Originelle Ideen braucht es dennoch, schliesslich knarzt es an allen Enden und trotzdem muss das Kloster als öffentliches Museum funktionieren. So hat Keller etwa das Dormitorium im ersten Obergeschoss mit diskreten Notbeleuchtungen nachgerüstet und ein Befestigungssystem für die Notausgangs-Schilder entwickelt, das die alten Mauern nur minimal tangiert. Auch bei den kleinsten Eingriffen arbeitete der Architekt eng mit einem Expertenteam zusammen, zu dem neben den Nutzern und der Denkmalpflege des Kantons Schaffhausen der Bauingenieur und Bundesexperte Jürg Conzett sowie die Restauratorin Doris Warger gehörten. Entscheide wurden erst nach gründlichen Untersuchungen und Abwägungen aller Optionen gefällt.

Ganz verborgen bleibt Kellers langjähriges Wirken als «Kloster-Architekt» in Stein am Rhein aber nicht. Im Äusseren Hof, an der vorspringenden Decke des Backhauses, durfte er noch etwas «Richtiges» bauen: Über einem kostbaren Relief wölbt sich jetzt ein neues Vordach aus Stahl, das es vor weiterer Verwitterung schützt. Die einfache Form ist ausgeklügelt entworfen worden und passt gut dorthin – so gut, dass man sie fast übersehen könnte.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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