Architektur Forum Ostschweiz

Badestelle wird zum Familienplatz

Kleine gezielte Eingriffe verwandeln einen Badeplatz am Gübsensee in einen attraktiven Aufenthaltsort. Damit er funktioniert, war die Einbindung aller Beteiligten in den Gestaltungsprozess Voraussetzung.

Beitrag vom 21. Oktober 2017

Text: Andrea Wiegelmann

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In unseren Städten und stadtnahen Regionen sind die Naherholungsgebiete einem immer stärkeren Nutzungsdruck unterworfen. Ob Spaziergänger, Jogger, Velofahrer, spielende Kinder, Familien auf Ausflug – wir alle verbringen einen Teil unserer Freizeit in den Grünräumen in und rund um unsere Städte. Vitaparcours, Bike Parks, Wanderwege, Schlittelstrecken, Rastplätze und Restaurants zeugen von der intensiven Nutzung von Parkanlagen und stadtnahen Grünräumen. Dabei stellt sich oftmals die Frage nach der Balance zwischen den Angeboten für die unterschiedlichen Interessengruppen und den Bedürfnissen der Anwohner.
Bei der Planung solcher Einrichtungen gilt es daher, zwischen unterschiedlichen Ansprüchen zu verhandeln und auch Verständnis für die Position des Gegenübers zu schaffen. Im Hinblick auf die Frage, wie viel Angebot nötig ist, ist der 2015 realisierte Familienplatz Gübsensee beachtenswert, weil sowohl seine Gestaltung als auch das Verfahren beispielhaft für vergleichbare Vorhaben stehen können.

Der neu geschaffene Familienplatz

Nur zwei S-Bahnstationen vom St. Galler Hauptbahnhof entfernt liegt der Gübsensee im Westen der Stadt. Der Stausee, der Ende des 19. Jahrhunderts entstand, dient seither dem Kraftwerk Kubel zur Energiegewinnung. Kurze Zeit später wurde die umgebende Landschaft zum Naturschutzgebiet. Von dieser Situation profitieren die Besucher des Sees bis heute. Für die angrenzenden St. Galler Quartiere ist er beliebtes Naherholungsgebiet.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund war der Gübsensee auch eines der vier Testgebiete des Projekts «Landschaft für eine Stunde» der Region St. Gallen-Appenzell AR-Bodensee, das das Potenzial von Übergangsräumen zwischen Siedlungen und offener Landschaft anhand von Fallbeispielen untersuchte. Die Gestaltung des Familienplatzes war in das Projekt eingebunden. Der Platz liegt an der Nordseite des Sees vom Weg abgegrenzt durch eine niedrige Hecke und öffnet sich zwischen den Bäumen zum Wasser. Markantes Element ist eine im Kreis rund angelegte hölzerne Sitzbank, die am Zugang zum Platz den Besucher empfängt und mit ihrer Kreisform sinnbildlich als kommunikatives Zentrum des Platzes steht. Zentral liegen auch die beiden Grillstellen, Holz fürs Grillieren liegt in Boxen parat. Ein überdimensionales hölzernes Vogelnest zum Spielen für Kleinkinder, ein Badesteg und Bewegungselemente ergänzen das Angebot, zudem steht hinter einem Sichtschutz versteckt eine Toilette.
Die Platzgestaltung und ihre Möblierung, die heute so selbstverständlich steht und Raum bietet für unterschiedliche Besuchergruppen, stammt vom Ostschweizer Landschaftsarchitekturbüro Kollektiv Nordost. «Es war ein grosser Wunsch, den Platz auch für Familien attraktiv zu gestalten, daher haben wir bewusst etwas für kleine Kinder entworfen», so Roman Häne, der neben Silvio Spieler für die Planung und Umsetzung beim Kollektiv Nordost verantwortlich zeichnet. Man setzt sich gerne hin und schaut aufs Wasser – der Platz ist offen und das Angebot für jeden geeignet. Gleichzeitig bleibt der Ort am See auf eine gewisse Weise unspektakulär, ohne grosse Infrastruktur. Einzig das für die Grillstellen bereitgestellte Holz und die Toilette sind Serviceangebote an die Nutzer. Mit der Gestaltung des Familienplatzes gelingt die Balance zwischen den Ansprüchen an ein Freizeitangebot und den an einen möglichst wenig gestalteten Aufenthalts- und Badebereich am See.

Gestaltung als Prozess

Das Kollektiv Nordost war zunächst von der Ortsbürgergemeinde beauftragt, die bestehende Badestelle attraktiver zu gestalten. Anlass war, so Silvio Spieler, der Wunsch nach Neubelebung des bis anhin vernachlässigten Ortes. Der lag hinter einer hohen Hecke vom Weg abgegrenzt und war, als «Partyplatz » gebraucht und zugemüllt, für Nutzer, Anwohner und Eigentümer zuletzt eine Belastung. Im Rahmen von «Landschaft für eine Stunde» wurde als Ziel formuliert, mit der Neugestaltung den Platz auch für Familien attraktiv zu machen, für sie gab es bis anhin wenig Angebote. Zudem, auch das war entscheidend, sollte eine einfache Pflege möglich sein. «Die sorgfältige Gestaltung eines Ortes kann dazu beitragen, dass die Bevölkerung Sorge trägt, gerade dann, wenn sie eingebunden ist», erklärt Silvio Spieler. «Wir wollten mit der Gestaltung zwischen den Interessengruppen vermitteln, ein Angebot schaffen, das auch die Kommunikation untereinander fördern kann», ergänzt sein Partner Roman Häne. Dennoch reagierten gerade die Anwohner zunächst auch mit Sorge auf die neue Gestaltung. Eine grössere Attraktivität führe auch zu mehr Belästigungen, so ihre Bedenken. Daher wurden mit der Fertigstellung des Familienplatzes Gefässe geschaffen, über die es möglich war, Wünsche und Fragen zu äussern. «Es ist wichtig, die Bevölkerung und die Nutzer einzubinden, um Akzeptanz zu schaffen und auch Verständnis für die Positionen des Gegenübers», sagt Sabina Ruff vom kantonalen Amt für Gesundheitsvorsorge, die den Mitwirkungsprozess initiierte. Mit der Eröffnung des Platzes im Sommer 2015 wurde beispielsweise eine «Krizzelbox» installiert mit dem Ziel, Kommentare und Anregungen aufzunehmen. «Die Möglichkeit wurde rege genutzt – sie zeigt, wie gross das Interesse an einem Austausch ist», so Ruff weiter. So könne man sicherstellen, dass der Familienplatz auch langfristig von allen akzeptiert und gut genutzt werde.
Das Konzept zum Familienplatz Gübsensee scheint aufgegangen zu sein. Freilich gibt es noch unzählige weitere Wünsche an ein mögliches Nutzungsangebot, das hat die «Krizzelbox» gezeigt. Doch gerade in der Beschränkung auf eine einfache Möblierung liegt die Qualität, die den Platzcharakter bewahrt, der Lage am See gerecht wird und gleichzeitig unterschiedlichste Nutzungen erlaubt. Diese Balance gilt es zu finden, immer wieder neu.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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