Architektur Forum Ostschweiz

Das Gehöft zum Freilichtbaummuseum

Architekt Paul Knill macht mit der Renovation des Wohnhauses mit angebauter Scheune am Rand von Roggwil die Geschichte sichtbar.

Beitrag vom 9. Februar 2021

Text: Susanna Koeberle

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Ganz brav in Reih und Glied stehen sie da, an die vierhundert Hochstammbäume: Äpfel-, Birnen-, Zwetschgen-, Pflaumen, Kirsch- und Nussbäume. Obstbäume prägen die Thurgauer Landschaft seit jeher, doch dieses rund fünf Hektaren grosse Gelände ist etwas Besonderes: Jeder Baum trägt nämlich eine andere Obstsorte. Das Areal am Rand von Roggwil ist quasi ein grosses Freilichtbaummuseum, denn viele alte Obstsorten sind heute leider verschwunden. Der Verein Obstsortensammlung hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Vielfalt auch für die nächsten Generationen zu erhalten. Die Früchte sind nicht nur geschmacklich eine Bereicherung; Biodiversität zu fördern, ist auch aus ökologischer Sicht wichtig. Denn die Ökosysteme der Natur haben aufgrund menschlicher Einflüsse erheblichen Schaden erlitten. Diese Tatsache ist nicht nur botanisch gesehen eine Tragödie, sie bedroht nicht zuletzt auch uns Menschen.

Der beispielhafte Umgang mit den vorhandenen Ressourcen zeigt sich auf diesem Stück Land auch in architektonischer Hinsicht. Allerdings geht es dabei dezidiert nicht darum, das Bestehende zu musealisieren, sondern vielmehr um eine Sichtbarmachung der Geschichte des Ortes. Der Architekt Paul Knill war 2016 vom Hochbauamt des Kantons Thurgau mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt worden; er überzeugte mit seinem Projekt zur Renovation des Wohnhauses mit angebauter Scheune sowie der separaten Remise, die zum Grundstück gehören. Besitzer von Land und Liegenschaft ist der Kanton Thurgau. Der Erwerb des Territoriums wurde in den 1980er-Jahren möglich, nachdem die Autobahn A1, die ursprünglich richtungsgetrennt geplant war, auf eine Autostrasse mit Gegenverkehr zurückgestuft worden war. Als die Besitzer der Liegenschaft 2015 auszogen, kaufte der Kanton diese mit der Idee, die Gebäude neu zu beleben und an die Bedürfnisse des Vereins Obstsortensammlung anzupassen, der den Boden seit 2005 pachtet. Die ersten Bäume pflanzte der Verein bereits 1994, seither gedeihen diese prächtig. Solche Landschaften erinnern uns an die wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Natur. Und auch Bauten sind eben häufig Teil von Kulturlandschaften.

Renovieren ist eine Form des Weiterbauens

Bei der dendrologischen Analyse des Hauptgebäudes entdeckten die Spezialisten, dass der Kern des Gehöfts auf das 17. Jahrhundert zurückgeht. Weitere Merkmale deuteten auf eine frühe Entstehung dieses regionaltypischen Baus hin. Damit war auch das Thema Abbruch vom Tisch, nicht zuletzt auch, weil das Bauwerk im Inventar des Amtes für Denkmalpflege als bemerkenswert eingestuft ist. Paul Knill versteht seine Eingriffe als Form des Weiterbauens, die keinen romantisierenden Lack über die alten Schichten legt, sondern ihre Diversität vielmehr zulässt und betont. Diese Haltung werte die zeitgenössischen Interventionen sogar auf, findet der Architekt.

Im Sommer 2018 wurde der Umbau in Angriff genommen. In einer ersten Phase ging es um eine Inventarisierung des Bestands. Nicht der übermässige Respekt vor der alten Bausubstanz stand dabei im Vordergrund, sondern das Einbetten der verschiedenartigen Elemente in eine zeitgemässe Formenund Materialsprache. Insofern führte der Architekt die Strategie weiter, die sich aus der Geschichte der Nutzung heraus entwickelte – einfach mit einem professionellen Gestaltungsanspruch. Das Faszinierende an alten Häusern ist ihre stetige Transformation und so sieht Knill das Renovieren auch nicht als Einschränkung, sondern im Gegenteil als hoch motivierende Arbeit.

Wiederverwenden als gestalterische Strategie

Dass er dabei auch mit den bestehenden Bauteilen arbeitete, ist konsequent. Für die beiden Fassaden etwa verwendete der Architekt nach Möglichkeit alte Bretter wieder, sei es vom Haus selber als auch vom Bauteillager der Denkmal Stiftung Thurgau. Dabei interessiert Knill das Wiederverwenden nicht primär aus ökologischen Gründen, die Ästhetik des Gebrauchten ist für ihn ebenso wichtig. Das Haus sollte nach Fertigstellung der Sanierungsarbeiten nicht neu aussehen, sondern schon eine gewisse Patina besitzen. Diese sollte selbstverständlich sein und nicht die Vintage-Schiene bedienen. Bei der Erneuerung der Fassade wurden auch die Fenster verschoben, sodass ein ausgewogener Gesamteindruck entsteht.

Im Innern scheute sich Paul Knill auch nicht die flickwerkartige Entstehung zu kaschieren. So wurden etwa der Kachelofen aus den 1960er-Jahren oder die «Plättli» in der Küche belassen. Dennoch erscheint die Atmosphäre stimmig und harmonisch. Ein neues Gleichgewicht zu schaffen, ist manchmal eine grössere Herausforderung als das Bauen auf der grünen Wiese. Vielleicht müssen wir uns auch verabschieden von der Idee eines einheitlichen Ganzen. Unsere Lebenswelt besteht, wie die gebaute Umgebung uns das täglich vor Augen führt, aus Fragmenten und ist insofern stets künstlich geschaffen. Genau so verhält es sich mit der umliegenden Landschaft. Eine Kulturlandschaft ist nichts Natürliches, wir neigen indes dazu, Natur als fernes Konstrukt zu idealisieren. Genau aus diesem Grund verlieren wir den Bezug zu ihr. Im gleichen Zug bedeutet ein baukulturelles Erbe zu bewahren nicht, dass man es auf einen Sockel stellen soll. Vielmehr gilt es, dieses lebendig zu erhalten. Das tun Baukünstler, indem sie seine Vielschichtigkeit sichtbar machen. Paradoxerweise verhindert genau diese Arbeit den Nonsens des «Hüsligeists», der allerorten – auch im Thurgau – sein Unwesen treibt.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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