Der Durchbruch zum Klostergarten
Kluge Planer können auch mit kleinen Eingriffen viel bewirken. Das beweist die Umgestaltung des Klinikareals St. Pirminsberg in Pfäfers.
Beitrag vom 5. September 2020
Text: Deborah Fehlmann
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Das Postauto arbeitet sich im Zickzack den steilen Hang von Bad Ragaz nach Pfäfers hoch. Kurz vor dem Dorfzentrum thront direkt über der Hauptstrasse auf felsigem Grund die Klosterkirche, das Wahrzeichen des Ortes. Zusammen mit den drei Gebäudeflügeln dahinter umschliesst sie einen nahezu quadratischen Hof. Die frühbarocke Anlage stammt aus dem 17. Jahrhundert, doch die ersten Benediktinermönche zogen bereits 731 von der Inselabtei Reichenau ins Taminatal und gründeten hier das Kloster Fabaria. Fünfhundert Jahre später entdeckten sie weiter oben in der Schlucht eine Quelle, deren Wasser sogar der berühmte Paracelsus eine heilende Wirkung attestierte. Fortan war Pfäfers nicht nur ein Reiseziel-Gläubiger, sondern auch Heilsuchender aus dem In- und Ausland.
1838 hob der Kanton St. Gallen die Abtei auf und zog deren Geld und Güter ein. Eine Heilstätte blieb der Ort aber: Fünf Jahre später eröffnete in den alten Gemäuern die Heil- und Pflegeanstalt St. Pirminsberg. Heute beherbergt das frisch restaurierte Kloster Behandlungsstationen, Büros und Sitzungsräume. Das jetzige Hauptgebäude der Klinik, ein pragmatischer Spitalbau aus den Siebzigern, wird dem barocken Denkmal nicht gerecht. Am fernen Ende ergänzt seit 2010 das Zentrum für Alterspsychiatrie die Anlage. Die grosse Qualität des Ortes liegt zwischen den Bauten: Inmitten der Bergkulisse geniessen Mitarbeitende, Patienten und Gäste sorgsam gepflegte Gärten, naturnahe Wiesen und einen guten Kilometer Spazierwege auf dem Klinikareal. Sie sind das einstweilige Resultat eines 20-jährigen Entwicklungsprozesses.
Veränderung als Gemeinschaftswerk
«Als ich Mitte der Neunzigerjahre hierherkam war das Areal zwar gepflegt, aber eher funktional und freudlos gestaltet. Es gab viel ungenutztes Potenzial», erinnert sich Christoph Eicher. Als CEO der St. Gallischen Psychiatrie-Dienste Süd trägt er die Gesamtverantwortung für die Klinik in Pfäfers und drei weitere Psychiatriezentren. Er schwärmt von der Kraft des geschichtsträchtigen Ortes und von der umliegenden Natur, die zur Gesundung der Menschen beiträgt. Denn: «Die Vorstellung einer psychiatrischen Klinik als Versorgungsbetrieb ist überholt – heute steht die Gesundung im Zentrum. Die Patienten sollen sich hier aufgehoben fühlen, aber auch so bald als möglich nach Hause zurückkehren.»
Eicher beschloss, die Klinik in einen einladenden und inspirierenden Ort zu verwandeln. Zufällig lernte er in jener Zeit den St. Galler Landschaftsarchitekten Tobias Pauli kennen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und Eicher beauftragte Pauli mit der Erarbeitung einer Gesamtschau über die Qualitäten und Entwicklungspotenziale des Areals. Ein einziger grosser Wurf, das wusste er, würde es nicht werden. Dazu fehlten die Eigenmittel, und das Projekt war kaum dringlich genug, um sich rasch finanzielle Unterstützung durch den Kanton zu erhoffen. Von Paulis Gesamtkonzept ausgehend, entschied Eicher sich deshalb für einen Wandel in kleinen Schritten. Deren Umsetzung in den Folgejahren gelang auch dank Drittmittel und der Begleitung durch das kantonale Hochbauamt.
Pauli erinnert sich gerne an den jahrelangen Prozess: «Wir trafen uns alle paar Monate, zogen Bilanz und diskutierten, was wir als Nächstes in Angriff nehmen. Ärzte, Pflegepersonen und auch ein Koch wirkten bei diesen Beratungen mit – ein partizipatives Vorgehen.» Den Auftakt machte Ende der Neunzigerjahre der Aussenraum der Cafeteria und des Haupteingangs, die im Zuge der Neugestaltung unter anderem zwei Wasserbecken erhielten. Als Nächstes gestaltete Pauli die terrassierten Torkelgärten um, wo die Mönche einst Reben und andere Nutzpflanzen gezogen hatten. Nun finden Ruhesuchende zwischen dem Grün geschützte Aufenthaltsnischen mit Blick in die Landschaft. Über einen Mauerdurchbruch verband er die vormals abgeschlossenen Torkelterrassen mit dem Zentrum der Anlage. Von der Cafeteria her gesehen, gibt der türgrosse Ausschnitt zugleich den Blick in die Berge frei. Dann entwarf der Landschaftsarchitekt die Spazierwege am Hügel oberhalb der Anlage, leitete eine umfassende Renaturierung in die Wege und wertete den Klosterhof mit feinen Eingriffen auf.
Eine Klinik, die ein offenes Haus sein will
Letzteres Projekt übergab er, der bis 2007 allein gearbeitet hatte, seiner Mitarbeiterin Susanna Stricker. Pauli bereitete in jenen Jahren seinen Ruhestand vor und die beiden sprachen bald über eine mögliche Übernahme. Doch Pauli wollte seine potenzielle Nachfolgerin erst auf die Probe stellen: «Wir zeichneten je ein Projekt für die Umgestaltung des Klostergartens und legten die Entwürfe Christoph Eicher vor. Er entschied sich für ihren Vorschlag.» Das habe ihm Vertrauen gegeben, um sich 2013 vom Geschäft zu lösen.
Unter Strickers Leitung erfolgte die Neugestaltung des Klostergartens und der Aufgänge zum südlichen Hauptportal bis 2019. Zeitgleich liess der Kanton die Bauten sanieren. Der Wildwuchs wich einer üppigen Staudenbepflanzung, durchsetzt mit geschwungenen Wegen. Die barocke Hauptfassade mit Freitreppe und geschmücktem Eingangsportal erscheint durch die Erweiterung mit Balustraden aus Sichtbeton nunmehr repräsentativer. Geblieben sind nur eine mächtige Blutbuche und die alten Umfassungsmauern gegen die Strasse. Auch hier entstand dank eines nur schmalen Mauerdurchbruchs eine neue räumliche Situation: Während der Weg vom Garten zum Eingang der Klosterkirche früher umständlich über die Strasse führte, verbinden heute wenige Treppentritte die beiden Orte. Es ist eine von vielen Gesten, durch die auch Aussenstehende den Weg in das durchwegs zugängliche Klinikareal finden. Denn auch das, sagt CEO Eicher, will die Klinik sein: ein offenes Haus, das dazu beiträgt, die in unserer Gesellschaft noch immer vorhandene Zurückhaltung gegenüber psychisch kranken Menschen abzubauen.
Bildnachweis
Hanspeter Schiess