Architektur Forum Ostschweiz

Die anderen Denkmäler

Nachkriegsarchitektur hat einen schlechten Ruf – herausragende Bauten verdanken ihre Rettung oft Privaten: zwei Erfolgsgeschichten.

Beitrag vom 9. Oktober 2019

Text: Franziska Quandt

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Ein in jeder Hinsicht neuzeitliches Haus, mit modernsten Materialien und Techniken gebaut – das verlangte Hans Stoffel vom Architekten Otto Glaus, als er ihn vor bald 70 Jahren mit dem Bau einer Villa in Heerbrugg betraute. Die Faszination für technische Neuheiten lag nahe. Er arbeitete für den Ziegel und Zementhersteller Max Schmidheiny. Der knapp vierzigjährige Glaus, den man von skulpturalen Betonbauten wie dem Konvikt der Churer Kantonsschule kennt, nahm sich der Aufgabe enthusiastisch an. Er entwarf einen eingeschossigen Bau aus Backstein und Eternit unter zwei Pultdächern. Zur Quartierstrasse im Norden hin liegen Kinder- und Gästezimmer. Die fliessenden Wohnräume und das Elternzimmer gegen Süden sind grosszügig verglast. Sie überblicken den üppig bewachsenen Garten.
Die Weitläufigkeit des 1,3 Hektaren grossen Grundstücks kann man nur noch erahnen. Auf dem grössten Teil entstand jüngst eine Mehrfamilienhaussiedlung. Auch die Villa sollte einem Neubau weichen. Wie mancher Bau aus der Nachkriegszeit war sie nicht im Inventar schützenswerter Bauten eingetragen. Ihre Rettung verdankt sie Einsprachen von Anwohnern und der Denkmalpflege. Sie erwirkten 2009 einen Kompromiss: Einen Grossteil des Parks durfte der Eigentümer überbauen, die Villa wurde im Gegenzug zum kantonalen Schutzobjekt erklärt. Nur standen Eigentümer und Denkmalpflege nun vor einem weiteren Problem. Niemand wollte das seit 2005 unbewohnte Haus kaufen.
«Als wir das Haus besichtigten, war es komplett eingewachsen und sanierungsbedürftig. Dennoch waren wir hingerissen», erinnert sich Vera Purtscher. Die Architektin und ihr Mann fanden die Villa 2015 auf der Roten Liste des Schweizer Heimatschutzes – einer Plattform, die auf bedrohte Denkmäler aufmerksam macht. Nach dem Kauf restaurierten sie das Haus denkmalpflegerisch. Purtscher versteht, dass Laien vor solchen Objekten zurückschrecken: «Das Haus ist eine Energieschleuder. Die feingliedrige Gebäudehülle zu isolieren, hätte den architektonischen Ausdruck aber zerstört.» Die originalen Fensterrahmen hat sie erhalten und nur neu verglasen lassen. Auch der Innenausbau unterlag strengen Vorgaben. Nicht nur die Böden aus massgefertigten Terrakottaplatten und die hölzernen Wandbeläge blieben bestehen, sondern auch das Farbkonzept. Es basiert auf der Farbskala von Glaus’ ehemaligem Arbeitgeber Le Corbusier. Auf dessen Proportionenlehre Modulor baut die Geometrie der ganzen Villa auf.
Dass sie das Haus nicht frei umgestalten darf, stört Purtscher nicht – im Gegenteil. Begeistert rauscht sie durch die Räume, zieht Faltwände aus Nischen, betätigt Sonnenstoren und öffnet Wandschränke, um auf clevere Schreinerdetails hinzuweisen. Sie verraten Glaus’ Vergangenheit als Handwerker und Innenarchitekt. «Alles ist durchdacht und von unglaublicher Qualität. Das findet man heute kaum noch», sagt sie zu Recht. Wie Glaus die Villa bis ins kleinste Detail durchkomponierte, ist virtuos. Bemerkenswert ist auch, dass sie seit ihrer Fertigstellung 1955 kaum verändert worden war. So erstrahlt sie als Zeuge der Wirtschaftswunderzeit heute wieder in ihrem früheren Glanz.

Ein freundlicher Bunker

In Wildhaus, eine halbe Fahrstunde entfernt, liegt ein Haus wie ein Findling im Steilhang. Die schweren Mauern aus grob geschaltem Sichtbeton besitzen nur einzelne Fensteröffnungen. Das Werk von Glaus’ Zeitgenossen Rudolf Olgiati könnte sich optisch kaum stärker von dessen luftiger Villa unterscheiden. Was die beiden Häuser aber verbindet, ist ihre Geschichte. Olgiati baute das Ferienhaus 1969 für den Zürcher Anwalt Richard Allemann. Der Architekt hatte, vorrangig in seiner Bündner Heimat, bereits Dutzende Projekte realisiert, und Allemann liess ihm freie Hand. Seine unverkennbare Formensprache – ihn beeinflusste traditionelle Bündner Architektur genauso wie Le Corbusier und die griechische Antike – prägt auch seinen einzigen Bau im Kanton St. Gallen.
Bei der Wehrhaftigkeit des Äusseren überrascht die gemütliche Innenwelt: Ein Dacheinschnitt unterteilt das Eingangsgeschoss in Koch- und Essplatz, Wohnbereich und Arbeitsecke. Eine geschwungene Treppe führt in die Schlafzimmer darunter. Ihre Brüstung verbindet sich mit dem offenen Kamin und der Sitzbank daneben zu einer organischen Skulptur. Wände, Decken und Einbauten sind weiss, die Fensterrahmen und eine Bücherwand aus Sichtholz. Der Boden ist mit dunkelgrauem Teppich bespannt.
Seinen einstigen Charakter hat der Bau erst in den letzten Jahren zurückerhalten. Die jetzigen Besitzer entdeckten ihn 2007 zufällig auf Homegate. Olgiatis Entwürfe kannte das Architektenpaar aus dem Studium. «Das Haus hatte von Beginn an konstruktive Mängel. Der Beton sog sich an vielen Stellen mit Wasser voll. Als wir es kauften, war die Fassade deshalb teilweise mit Eternit verkleidet. Im Dachbereich waren Bleche und zusätzliche Abwasserrohre montiert», erklärt Andri Gerber. Das Paar beschloss, das Haus zu sanieren und unter Schutz zu stellen. Dabei unterstützten sie die Denkmalpflege und der architekturbegeisterte Gemeindepräsident. Wie Vera Purtscher empfinden sie den Denkmalschutz nicht als Einschränkung: «Wir wollten dem Haus ohnehin seine ursprüngliche Gestalt zurückgeben.» Für die Sanierung kantonaler Schutzobjekte richtet die Denkmalpflege Subventionen aus. So konnten die Gerbers bis 2017 die Fassaden und das Dach instand stellen. Heute verbringen sie fast jedes Wochenende in Wildhaus und laden gerne Gäste ein. «Viele finden, das Haus sehe aus wie ein Bunker», erzählt Gerber, «doch sobald sie hereinkommen, sind alle begeistert.»
Ob Bunker oder Energieschleuder: Die Architektur der Fünfziger- und Sechzigerjahre hat bis heute einen schweren Stand. In vielen Gemeindeinventaren fehlen solche Bauten gänzlich; unter Denkmalschutz steht kaum ein Bau. Sie pauschal zum Abbruch freizugeben, ist jedoch ein Fehler. Wer hinschaut, findet unter ihnen architektonische und kulturelle Schätze – wie die Villa Stoffel oder das Haus Allemann.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess, Faruk Pinjo

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