Architektur Forum Ostschweiz

Die letzte Ruhe – vereint statt anonym

Innerhalb weniger Jahre wurden etliche Friedhöfe in der Ostschweiz mit Gemeinschaftsgräbern ausgestattet. Ihre künstlerische Ausgestaltung zeugt vom Versuch, Gemeinschaft und Individualität zu vereinen.

Beitrag vom 19. September 2015

Text: Rahel Hartmann Schweizer

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Nachdem auf dem Friedhof Bruggen Ende August das von der Landschafts­architektin Rita Mettler, Gossau, und der Künstlerin Kaja Terpinska, Berlin, gestaltete Gemeinschaftsgrab eingeweiht wurde, bietet die Stadt auf drei Friedhöfen diese Art der Beisetzung an. Neben Bruggen sind das St. Georgen und Feldli.

St. Georgen wurde ebenfalls vom Duo Mettler/Terpinska entworfen, das 2010 bereits das Gemeinschaftsgrab in Teufen verantwortete. Derweil waren die Urheber der Anlage im Feldli das Büro des Landschafts­architekten Paul Rutishauser und der Künstler Hans Thomann. Dasselbe Team zeichnete wiederum für den Entwurf in Mörschwil verantwortlich, dessen Umsetzung im November 2014 eröffnet wurde. Ebenfalls 2014 entstand das Gemeinschaftsgrab im Oberkirch in Frauenfeld nach einem Projekt der Landschaftsarchitektin Regula Hodel.

Bereits seit zehn beziehungsweise zwölf Jahren bestehen die Gemeinschaftsgräber auf den Friedhöfen in Speicher und Rehetobel. Ersteres realisierte der Künstler Jan Kaeser im Jahr 2005, Letzteres stammt von den Landschaftsarchitekten Elisabeth Steinegger und Rudolf Lüthi und wurde 2003 fertig gestellt. Dabei haben sich zwei künstlerische Formen herauskristallisiert: In einer ersten Phase wurden Bildhauerwerke geschaffen, die den gemeinschaftlichen Charakter signalisieren und in deren Symbolik die anonym Bestatteten aufgehoben waren. Dann entstanden zunehmend Plastiken, Skulpturen und landschafts­gestalterische Elemente, die gleichzeitig als Träger der Namen der Verstorbenen fungieren – Medium also des Wunsches sind, die Anonymität der Bestattung wieder aufzuheben.

Individuelle Biographien

«Epitaph» in Rehetobel vereint Gemeinschaftlichkeit, Sinnbildhaftigkeit und Gedenken. Als gemeinschaft­liches Tableau fungiert die von einer «Wasserspur» gesäumte Grabplatte aus Rorschacher Sandstein, in die die Namen der Verstorbenen eingemeisselt werden. Die brunnenartige Anlage lässt Wasser aus dem Boden quellen und wieder darin versickern, womit sie den Kreislauf des Lebens symbolisiert. «Sechs­meter­erinnerungen» in Speicher ist noch stärker auf das Individuum ausgerichtet. Wie auf einem Regal aufgereiht, stehen hier 180 bronzene Bücher unterschiedlicher Formate. Ein jedes steht für die individuelle Biographie eines bestatteten Menschen. Die Namen werden auf Messingplättchen graviert, welche die Buchrücken zieren.

Eine andere Art der Verbindung mit dem Leben stellt das Kunstobjekt der jüngst realisierten Anlage im Friedhof Bruggen her. Hier werden die Namen in zwei in Bronze gegossene Baumstämme gestochen. Eine schöne Analogie, die man sich denken kann: Manche der Menschen, deren Namen heute in die tote Bronze des Stamms graviert werden, haben ihre Initialen vielleicht einst als Liebende in die Rinde eines lebenden Holzes geritzt.Im Tode vereint sind sie nun wohl zufällig, aber eben in einer Gemeinschaft. Holz ist auch das Thema der gemeinschaftlichen Ruhestätte im Friedhof in St. Georgen. Wiederum aus Bronze gegossene, ineinander verkeilte Zweige sind zu einer langgestreckten Skulptur komponiert. Das «Holz» ist zwar ebenfalls tot, aber es wächst: Jedem Verstorbenen wird ein neuer, namentlich gekennzeichneter Zweig gewidmet.

Einsam – gemeinsam

«Früher nannte man das Gemeinschaftsgrab ‹Grab der Einsamen› », wurde der Leiter des St. Galler Gartenbauamtes Christoph Bücheler im November 2014 in dieser Zeitung in einem Bericht über das Gemeinschaftsgrab in Mörschwil zitiert. Dass dem heute nicht mehr so ist, zeigt die steigende Zahl von Menschen, die sich in gemeinschaftlichen Anlagen bestatten lassen möchten – auch wenn sie Angehörige haben. Sie entheben diese damit der Aufgabe der Grabpflege – aus finanziellen wie aus ästhetischen Gründen. Denn an entfernten Orten lebende Verwandte delegieren den Unterhalt der Grabstätte zunehmend an Gärtnereibetriebe, die sie allzu oft unter Stiefmütterchen-Erika-Begonien-Einerlei «begraben».

So verkehren sich Erdbestattungen ins Gegenteil dessen, was sich im 18. und 19. Jahrhundert allmählich etablierte. Damals trat das sich emanzipierende Bürgertum aus der Anonymität von Massenbestattungen heraus und errichtete – sich an der Aristokratie orientierend – individuelle Grabstätten.

Totenstadt und Verdichtung

Aus dieser Zeit stammt auch einer der berühmtesten Friedhöfe der Welt, Le Cimetiere du Pere-Lachaise in Paris. Die Anlage ist von geradezu urbanem Charakter – eine berückende Totenstadt, in der zu wandeln einen in kontemplative Stimmung versetzt. Doch die Verdichtung, wie sie in den Städten der Lebenden zur Norm wird, hält mit den Gemeinschaftsgräbern auch in den Friedhöfen Einzug. Diese sind längst nicht mehr nur Ruhestätten und Gedenkorte, sondern haben oft auch eine weltliche Funktion als Grünräume und Naherholungszonen. Diesen Aspekt genoss der Kolumnist Beni Frenkel während der Sommermonate, wie er im Magazin des «Tages-Anzeigers» am 12. September bekannte.

Moment des Gedenkens

Dabei erregte ein Grabstein in seinem Blickfeld wegen der Inschrift «Ich bin die Auferstehung» sein Interesse. Gerne hätte er mehr über den Verstorbenen erfahren, dessen Leben (1917 bis 1956) zu kurz währte. Frenkel widmete ihm vermutlich zu einem Zeitpunkt, da dessen Nachkommen es ihm kaum mehr zuteil werden lassen können, einen Moment des Gedenkens, eine Minute der Auferstehung. Wenn die Friedhöfe nicht nur Orte für die Trauernden sind, wird die Erinnerung ebenso kollektiv wie die gemeinschaftliche Beisetzung.
Vielleicht kommen die Toten so wieder etwas mehr in unsere Mitte. Doch die Atmosphäre, in der in Mexico am Dia de los Muertos mit den Verstorbenen gleichsam ihre temporäre Rückkehr bei Speis und Trank gefeiert wird, können wir nicht heraufbeschwören.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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