Einheimisches und internationales Flair
Bei den Bemühungen, die Abwanderung aus den Berggebieten zu bremsen, ist die Hotellerie der Knackpunkt. In der Surselva weiss man sich zu helfen, wie jüngere Projekte zeigen. Ein Seitenblick lohnt sich aber auch in die Albula-Region.
Beitrag vom 20. Februar 2016
Text: Rahel Hartmann Schweizer
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«Sanft fiel der Zug in die Bremsen und hielt in der von Menschen wimmelnden Halle der Tunnelstation Sedrun. Von hier konnte das mondäne Sportzentrum in sieben Minuten im bequemen Lift durch einen 830 Meter hohen Schacht erreicht werden. Dadurch waren die Skifelder am Vorderrhein in Stundennähe von Basel, Zürich und Mailand gerückt.»
Auf die Vision des Ingenieurs Eduard Gruner, die der SBB-Kopf 1947 formuliert hatte, beriefen sich die Promotoren der sogenannten Porta Alpina. Die unterirdische Bahnstation in der Mitte des Gotthardbasistunnels bei Sedrun hätte die Surselva ans europäische Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz angeschlossen, mit dem Ziel der von Abwanderung bedrohten Region Aufschwung zu bescheren.
Mitte September 2007 wurde die Idee auf Eis gelegt. Es blieb jedoch die in ihrem Windschatten segelnde, über die Region Surselva hinausgehende Förderungsinitiative «Prego» (Projekt Raum- und Regionalentwicklung Gotthard), zu der sich Regierungs- und Interessenvertreter der Kantone Uri, Graubünden, Tessin und Wallis 2006 zusammengefunden hatten, und die sich – nach der Absage an die Porta Alpina – im November 2007 unter dem Namen San Gottardo formierte.
Etliche Projekte wurden daraufhin abgeklärt, initiiert und mit Hilfe der Unterstützung durch die Neue Regionalpolitik (NRP) in Angriff genommen: Umbau der Tennishalle in Laax, ein Freizeitpark in Obersaxen Mundaun, Bau eines naturnahen Badesees in Trun, Kletterparadies Surselva an der Staumauer Pigniu, durchgehender Wanderweg Ruinaulta, Schlachthof in Rueun, Beherbergungsmöglichkeiten für Backpacker, um nur einige zu nennen. Die Hotellerie erwies sich indes als hartes Pflaster, da die Unterstützung durch die NRP an die Kriterien Einmaligkeit und Innovation gebunden ist.
Verankert im Kontext
Unabhängig davon hat der Architekt Gion A. Caminada im Auftrag des Zürcher Maler-Unternehmers Theo Schaub mit der Ustria Steila am Sonnenhang oberhalb von Ilanz ein Hotel gebaut, das exemplarisch steht für einen mit dem Ort verbundenen Tourismus. Es ist eine Unterkunft für Menschen, die sich auf den Ort einlassen, die spezifischen Gegebenheiten des Kontexts schätzen. Dass dies zunächst bedeutete, das Haus architektonisch einzupassen, ist nur ein Teil der Wahrheit. Caminada übernahm zwar den traditionellen Sockel und den Holzbau, doch «verzog» er deren Proportionen entsprechend der Räume, die sie bergen: Im Sichtbeton-Untergeschoss werden die Vorräte gelagert sowie Speisen und Getränke degustiert. Restaurant, Saal und Küche befinden sich im weiss verputzten Erdgeschoss, und die Gästezimmer im darüberliegenden Strickbau.
Grenzen verwischt
Das Haus fällt auf und passt sich gerade dadurch ein: Durch die Überhöhung der lokalen Bauweise wird deren Integrität betont. Einheimisches steht sodann nicht nur auf dem Speiseplan. Auch kulturell ist das Haus am Ort verankert. So bietet etwa eine Bibliothek Einblicke in Werke zur Kunst und Architektur des Kantons Graubünden.
Im Original lässt sich diese auch in Valendas erleben, wo im ehemaligen Engihuus 2014 das «Gasthaus am Brunnen» eröffnet wurde. Die Gemeinde schenkte das 500 Jahre alte Haus 2007 der Stiftung Valendas Impuls, die es von Caminada zu einem Hotel mit Restaurant und Saal umbauen liess, auf dass es zu einem Begegnungsort für Einheimische und Gäste werde.
Um das Raumprogramm zu erfüllen, bedurfte es auch hier eines Neubaus. Die Grenze zwischen diesem und dem bestehenden Engihuus verwischte Caminada, indem er beide Häuser in weissen Kalkputz kleidete. Statt des Kontrasts ist es wieder eine, diesmal noch subtilere, Irritation zwischen Alt und Neu.
Empfindet man hier die verschiedenen Zeitschichten als miteinander verwoben, fühlt man sich im Kurhaus in Bergün am Fuss des Albulapasses, das vor dem Untergang bewahrt wurde, um ein Jahrhundert zurückversetzt.
Luftkurort-Atmosphäre
Die Initiative ist umso bemerkenswerter als das nach Plänen des Zürcher Architekten Jost Franz Huwyler-Boller errichtete und 1906 in Betrieb genommene Jugendstil- Grandhotel von Beginn an um seine Existenz rang. Als Stammgäste 2002 die neue Kurhaus Bergün AG gründeten, erwies sich indes gerade dies als Segen, hatte die wirtschaftliche Schieflage doch massive Eingriffe in die Originalsubstanz verhindert.
Das nach allen Regeln denkmalpflegerischer Kunst nach und nach renovierte Haus verströmt jene Atmosphäre eines Luftkurortes, als der sich das Haus einst etablieren sollte. Das Haus bekam seine Geschichte und mit ihr den weltläufigen Geist zurück, der ihm einst innewohnte – nicht zuletzt mit den rekonstruierten Rattanmöbeln, die einst in Vietnam gefertigt worden waren.
Bildnachweis
Lucia Degonda (Ustria Steila)/pd (Kurhaus Bergün)