Architektur Forum Ostschweiz

Gesetze machen keine Baukultur

Die Interessengruppe Ortsplanung Rheintal will die Öffentlichkeit zur Auseinandersetzung mit ihrer gebauten Umwelt motivieren

Beitrag vom 30. November 2019

Text: Deborah Fehlmann

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Zersiedelung stoppen, Bauzonen verkleinern, Siedlungen verdichten und Kulturland schützen – das waren die Kernanliegen des revidierten Raumplanungsgesetzes, dem 63 Prozent des Schweizer Stimmvolks 2013 zustimmten. Am 1.Mai 2014 trat das neue Bundesrecht in Kraft und den Kantonen blieben fünf Jahre, um ihre Gesetzgebungen anzupassen.
Nun sind die kommunalen Richtund Nutzungspläne an der Reihe. Raumplaner definieren im Auftrag der Gemeinden parzellengenau, wo was und wie viel gebaut werden darf. Sie legen fest, was bewahrt wird und wo Entwicklung stattfindet. Das wirkt sich auf unseren Lebensraum unmittelbar aus: Baugesetze prägen die Ortschaften, in denen wir wohnen, arbeiten und unsere Freizeit verbringen. Rund 30 Architekten und Landschaftsarchitektinnen aus dem St. Galler Rheintal wollen Verantwortung übernehmen und den Prozess in der Region mitgestalten. Offene Türen rennt ihre Interessengruppe Ortsplanung Rheintal (Igor) damit nicht ein. Ein Gespräch über Baugesetz und Baukultur mit den Vorstandsmitgliedern Joshua Loher, Dominik Hutter und Mike Föllmi.

Wieso sollen Architekten an der Ausarbeitung von Baugesetzen mitwirken?

Joshua Loher: Wir arbeiten letztlich damit und machen daraus Baukultur. Wir wissen, was funktioniert und wo Verbesserungsbedarf herrscht. Die Revision ist eine in unserem Berufsleben wohl einmalige Chance, dieses Wissen einzubringen.
Dominik Hutter: Bauen ist keine Privatsache. Man trägt etwas zum gemeinsamen Lebensraum bei. Als Teil dieses Räderwerks sind wir für die Entwicklung unserer Ortschaften mitverantwortlich. Gerade die Verdichtung stellt uns vor grosse Herausforderungen. Damit sie gelingt, müssen wir die Entwicklung steuern. Dazu brauchen wir erst einmal Zielbilder.

Fehlen diese heute im Rheintal?

Loher: Voraussetzung für die Definition eines Ziels ist ein Bewusstsein für die Besonderheiten des Ortes. Gemeinden mit einem historischen Kern wie Berneck oder Altstätten fällt das leichter. Es gibt aber Gemeinden, wo auf den ersten Blick nichts Erhaltenswertes vorhanden ist. Diese meinen oft, keine Baukultur zu haben.
Hutter: Viele Gemeinden erlebten in den letzten Jahren einen starken Einwohnerzuwachs. Das Dorf, wie man es von früher kennt, geht verloren. In den Köpfen der Menschen ist das noch nicht angekommen.
Mike Föllmi: Auch die Behörden agieren grösstenteils noch innerhalb ihrer Grenzen, obwohl einige Gemeinden baulich längst zusammengewachsen sind. Gerade in der Raumplanung würde übergreifendes Denken vieles vereinfachen. Im Frühjahr 2018 lud die Igor alle Gemeinden von St.Margrethen bis Rüthi zu einem Gedankenaustausch ein. Anwesend waren auch die für sie tätigen Raumplaner. Mit ihnen hatte vorab ein positiver Austausch stattgefunden. Der Start war viel versprechend: Sämtliche Gemeindepräsidenten und Bauamtsvorsteher erschienen zu dem Anlass. Auf den Vorschlag der Igor, als gleichberechtigte Partner neben Raumplanern und Gemeinderäten in den Kommissionen Einsitz zu nehmen, ging dennoch keine Gemeinde ein.

Der Wunsch nach Mitwirkung hat sich für Sie nicht erfüllt. Trotzdem haben Sie Ende 2018 einen Verein gegründet…

Hutter: Damit haben wir unseren Zweck ausgeweitet: Wir wollen für das Thema Baukultur sensibilisieren und es in der Gesellschaft verankern. An unseren Veranstaltungen fokussieren wir nicht auf einzelne Objekte, sondern auf den gemeinsamen Lebensraum. Zudem haben wir Arbeitsgruppen gegründet. Eine davon hat einen Kommentar zum Musterbaureglement der Vereinigung St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten verfasst.

Was kritisieren Sie am jetzigen Gesetz?

Föllmi: Es macht fast die Architektur! Das betrifft nicht nur Grenzabstände und Gebäudehöhen, sondern zum Beispiel auch die Ausbildung der Attikageschosse. Viele Investorenbauten bilden das Gesetz praktisch eins zu eins ab.
Hutter: Wobei ein Baureglement immer ein zweischneidiges Schwert ist. Die neuen Gesetze werden mehr Freiheit bieten, indem etwa die Ausnützungsziffer und der grosse Grenzabstand fallen. Das birgt auch Gefahren. Ein restriktives Gesetz kann negative Auswüchse verhindern. Das führt gesamtheitlich zu mehr Qualität.

Ein restriktives Gesetz kann aber auch gute Lösungen verhindern.

Loher: Die Frage ist weniger, was man reglementiert, sondern wie. Nehmen wir die erwähnten Attikageschosse: Gemäss unserem kommunalen Baureglement müssen diese, von der maximalen Gebäudehöhe her gemessen, an den Längsfassaden unter einem Winkel von 60 Grad zurückspringen. Das führt zu Auswüchsen mit zwei Attikageschossen! Im Thurgau dagegen heisst es, das Attikageschoss müsse entlang mindestens einer Fassade um ein definiertes Mass zurückspringen. So bleibt Spielraum, um das Volumen sinnvoll anzuordnen. Hutter: Einverstanden, doch jede Regelung bringt neue Auswüchse. Gefragt sind weitere Werkzeuge der Qualitätssicherung, wie die Professionalisierung der Bewilligungsbehörden. Die meisten Gemeinden prüfen Baugesuche nur formell. Was dem Gesetz entspricht, wird bewilligt. Eine Beurteilung bezüglich Raumplanung oder architektonischer Qualität findet nicht statt. Eine Lösung wären Gestaltungsbeiräte, die Fragen objektbezogen beantworten können.

Baukultur ist mehr als die Summe von Vorschriften. Sie erfordert ein öffentliches Bewusstsein für ortsspezifische Qualitäten und eine gemeinsame Zielvorstellung. Die Hafenstadt Romanshorn beispielsweise erarbeitete unter Einbezug der Bevölkerung eine räumliche Entwicklungsstrategie. Sie bildet die Grundlage des kommunalen Richtplans und setzt die Leitplanken für die Planung und Beurteilung künftiger Entwicklungen. Nur wenn wir die Gestaltung unseres Lebensraums als gemeinschaftliche Aufgabe verstehen, kann sie qualitätsvoll gelingen.

Die Interviewpartner

Dominik Hutter und Joshua Loher haben Igor initiiert und teilen sich das Präsidium. Mike Föllmi ist Vorstandsmitglied und Aktuar. Hutter und Föllmi sind selbstständige Architekten in Heerbrugg und Berneck, Loher ist Architekt und Architekturfotograf in Balgach.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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