Architektur Forum Ostschweiz

Neuhausen bricht auf in die Zukunft

Die Stadt am Rheinfall ist Teil des Grossraums Zürich geworden. Das zeigt sich an den vielen Projekten, die in den letzten zwei Jahren publik geworden sind. Im Zentrum stehen die neue S-Bahn-Haltestelle und mehrere Industrieareale, die sich für verdichtetes Bauen eignen.

Beitrag vom 27. August 2016

Text: Caspar Schärer

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«Millionenzürich»: Vor einigen Jahren schaffte es dieser Begriff aus der Welt der Fachleute in die Tageszeitungen. Er macht deutlich, dass Zürich mehr ist als nur die Stadt selber und dass sie ihr Einzugsgebiet erheblich erweitert hat. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer «Metropolregion», oder eben vom «Millionenzürich». Das Besondere an der Metropole Zürich ist ihre Vielgestaltigkeit. Sie besteht bei weitem nicht nur ausder grossen Kernstadt am See, sondern setzt sich aus vielen kleineren und grösseren Städten zusammen. Zug gehört dazu, Baden ebenfalls, Frauenfeld mittlerweile auch – und im Norden Schaffhausen und Neuhausen am Rheinfall.

Projekte Schlag auf Schlag

Bis anhin war in Neuhausen die Metropole nicht gross zu spüren. Ein fernes Brummen war mal lauter, mal leiser vernehmbar. Grundsätzlich fühlte man sich weit genug entfernt von der Grossstadt, die wie überall in der Schweiz eher skeptisch beobachtet wird. Inzwischen ist jedoch die Metropole in Neuhausen angekommen, und wie: Innert kürzester Zeit wurden in der Gemeinde am weltberühmten Rheinfall Schlag auf Schlag so viele neue und grosse Bauprojekte bekannt, dass den Neuhauserinnen und Neuhausern fast Hören und Sehen vergeht. Was ist da los? Warum plötzlich diese Unrast? Schliesslich ist die Bevölkerung in Schaffhausen und Neuhausen zwischen 1995 und 2012 kaum gewachsen.

Drehscheibe am Industrieplatz

Die Vermutung liegt nahe, dass die im Dezember 2015 in Betrieb genommene S-Bahn-Haltestelle «Neuhausen Rheinfall» eine wichtige Rolle spielt. Früher förderte in erster Linie die Autobahn die Erreichbarkeit und damit die Zersiedelung. Dabei wird der Faktor «Erreichbarkeit» nicht in Kilometern, sondern in Zeiteinheiten gemessen: Wie viele Minuten Fahrt ist das Zentrum entfernt? Diese Frage ist für Pendler von zentraler Bedeutung.

Das Schweizer Stimmvolk hat 2013 dem neuen Raumplanungsgesetz zugestimmt, in dem zum ersten Mal der Grundsatz des «haushälterischen Umgangs mit dem Boden» tatsächlich Rechnung getragen wird. Vorher war es einfach ein Satz, den mehr oder weniger alle fröhlich ignorierten. Jetzt geht das nicht mehr. Der Kanton Schaffhausen hat zwar grosse Baulandreserven, muss diese nun aber reduzieren. Verdichtung nach innen heisst heute: Dort bauen, wo die Erschliessung mit öffentlichen Verkehrsmitteln bereits gut ist. Das ist nun mal in den beiden den Zentrumsgemeinden Schaffhausen und Neuhausen eher der Fall als anderswo im Kanton. Mit der neuen S-Bahn-Haltestelle wird das Zentrum von Neuhausen auf einen Schlag nicht nur gut, sondern gleich hervorragend erschlossen.

Somit ist Neuhausen am Rheinfall auf der Landkarte der Immobilienentwickler aufgetaucht – jenen Unternehmen also, die von jedem Grundstück in der Schweiz sämtliche Vor- und Nachteile kennen. Dass sich im Zentrum Neuhausens gerade die Lagegunst bedeutend verbessert hat, wissen sie seit 2011, als die Bevölkerung des Kantons Schaffhausen den Ausbau der S-Bahn an der Urne genehmigt hat. Praktischerweise befinden sich neben der neuen Haltestelle gleich mehrere immobilientechnisch interessante Areale. Da ist zunächst das riesige SIG-Areal, für das ein sorgfältiger Masterplan erarbeitet und im August der Bevölkerung vorgestellt wurde.

Gleich nebenan, rund um den Industrieplatz und direkt an der Haltestelle, wurden für drei weitere Gebiete Planungen bekannt, und auch im Zentrum selber sollen Neubauten entstehen. Am Industrieplatz stehen noch zwei bis dreigeschossige Häuser, etwas eigenwillig zusammengestellt und unverkennbar in die Jahre gekommen – das alte, vielleicht etwas schrumpleige Neuhausen. Nun ist aber die S-Bahnstation da, und der Kanton hat den Industrieplatz zu einem so genannten Entwicklungschwerpunkt der Agglomeration Schaffhausen erklärt. Für alle Projekte wurden unter Architekten Wettbewerbe ausgeschrieben, einen gewann sogar der britische Stararchitekt Tony Fretton, der bekannt ist für seine unaufgeregte Gelassenheit. Die Projekte wirken auf den bisher bekannten Bildern deutlicher städtischer als der Neuhauser Durchschnitt: Ihre Fassaden erscheinen weltläufiger, aber auch etwas weniger verwurzelt mit dem Ort. Eines lässt sich jedenfalls jetzt schon sagen: Rund um den Industrieplatz wird – wenn alles so kommt wie zur Zeit vorgesehen – unübersehbar an der Metropolregion gebaut.

Anbinden an die Stadt

Ein Stück hangaufwärts, wieder an einer Bahnstation, dieses Mal jener der Deutschen Bahn, liegt mit dem Rhytech-Areal ein weiteres Gebiet, das sich von der Lage her ideal für eine Verdichtung eignet – jedenfalls beinahe. Innerstädtische Industriebrachen wie diese sind eine Kostbarkeit, sind sie doch in der Regel verhältnismässig gut erschlossen. Dafür fehlt die Anbindung an die umliegenden Quartiere, weil die Areale einst als geschlossene Bereiche konzipiert waren, die eben gerade nicht von jedermann durchquert werden konnten. Die neue Verknüpfung mit dem umgebenden städtischen Gewebe stellt eines der grössten Probleme jeder Umnutzung eines Industrieareals dar – auch und gerade beim Rhytech-Areal taucht diese Frage ganz vorne auf.

Die Klettgauer- und Zollstrasse, die das Areal im Nordwesten und Nordosten begrenzen, gehören zu den am stärksten befahrenen Strassen des Kantons. Bis anhin war das zumindest für das Rhytech-Areal nicht weiter von Bedeutung. Nun aber, wenn dort gewohnt werden soll, werden der Lärm und der unablässige Strom von Autos und Lastwagen zum Problem. Es braucht einiges an architektonischem und städtebaulichem Geschick, um die «Insel» Rhytech-Areal wieder in die alltäglichen Fusswege der Neuhauser einzubinden. Auch hier wurde ein Wettbewerb unter Architekten ausgeschrieben, den der Zürcher Peter Märkli für sich entscheiden konnte. Märkli steht wie Fretton für hohe Qualität der Räume und der Ausführung, aber auch ein Star kann nicht die Welt komplett verändern. Die Anbindung an die umliegenden Quartiere müssen Gemeinde und Kanton lösen.

Zu reden in Neuhausen gab das Projekt auf dem Rhytech-Areal aber wegen ganz anderer Dinge. Vorgesehen sind zwei Wohnhochhäuser, und dies sorgt in der Schweiz immer für Gesprächsstoff. So richtig willkommen waren sie ausserhalb der Städte nie, obwohl sich die Stimmung in den letzten zehn, fünfzehn Jahren wieder etwas zu ihren Gunsten geneigt hat. Auf dem Rhytech-Areal bündeln die beiden Türme einen Grossteil der neuen Wohnnutzung und schaffen auf dem Boden Platz für eine weitläufige Plattform, auf der man sich frei bewegen kann.

Vor allem aber können Altbauten erhalten werden, so etwa eine der Industriehallen. Die Halle 22 ist ein wichtiger «Identitäts-Anker», der daran erinnert, dass Neuhausen nicht nur eine Wohnstadt, sondern dass hier auch gearbeitet wird. Die beiden Hochhäuser wiederum werden (wie so oft) zum sichtbaren Zeichen eines Aufbruchs. Neuhausen hat eine Zukunft, das ist immerhin schon mal etwas.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess, Visualisierung pd

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