Architektur Forum Ostschweiz

Öffnung im doppelten Sinn

Die Erweiterung und Erneuerung des Ekkharthofs ist ein bestes Beispiel für eine Architektur, die Neues aus Bekanntem schöpft.

Beitrag vom 27. Juli 2019

Text: Christoph Wieser

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Der Ekkharthof, auf dem Seerücken südöstlich von Kreuzlingen gelegen, ist eine Institution in der Ostschweiz. Hier leben und arbeiten seit 1974 Menschen mit Betreuungsbedarf nach anthroposophischen Grundsätzen. Neben dem Sonderschulheim für Kinder und Jugendliche gibt es ein Wohnheim für Erwachsene sowie Werkstätten und Betriebe, wo verschiedene Produkte hergestellt werden. Trotz Märkten, dem traditionellen Herbstfest und weiteren Anlässen, machte der Hof bislang eher einen introvertierten Eindruck. Die Absonderung war gewollt. Sie entsprach der damaligen Überzeugung, äussert sich im entlegenen Standort und im üppigen Baumbestand, hinter dem die Gebäude beinahe verschwinden.

Heute ist die Sicht eine andere. Wichtiges Anliegen für die Erweiterung und Erneuerung war eine sichtbare Öffnung des Betriebes nach aussen. Das Büro Lukas Imhof Architektur gewann 2014 den Wettbewerb unter anderem deshalb, weil sie Ordnung im Grossen schaffen und dabei die bestehende Struktur stärken.

Ein Platz zum Ankommen

Zentrales Element ist ein neu geschaffener Platz, mit dem der Ankunftsbereich entscheidend aufgewertet wird: Hier kommt man künftig mit dem Bus oder Auto an, finden grössere Anlässe statt, gelangt man zum neuen Eingang mit Café und Shop im Haupthaus, zum Anfang Jahr eröffneten Gemeinschaftshaus und Gastrogebäude sowie ins Innere des Areals, dessen Bauten wagenburgartig um eine Wiese gruppiert sind. Geschickt nutzen die Architekten das abfallende Gelände zur Inszenierung des Platzes als räumlich gefasste Terrasse. Hangseits steht der Neubau, die seitliche Rahmung bilden die beiden markantesten Bestandesbauten: das rote «Hügelhaus» und das expressive Heizungshaus in Sichtbeton.

Rex Raab realisierte den Ekkharthof in drei Etappen. Architektonisch orientierte er sich an dem, was seit dem zweiten Goetheanum in Dornach (1928), an dessen späterem Ausbau er beteiligt war, als anthroposophischer Stil bekannt war. Wie baut man ein solches Ensemble weiter, das auffällige Dachformen, teils abgeschrägte Fenster, amorphe Geometrien und unterschiedliche Farbtöne aufweist?

Lukas Imhof wählte zwei unterschiedliche Ansätze: Beim Umbau des Haupthauses und dem Anbau sowie der Aufstockung der Schule wird die Formen- und Materialsprache weitergeführt, so dass nach Vollendung im Spätherbst eine organische Einheit entstehen wird. Der Neubau hingegen setzt sich bewusst vom Bestand ab. Gleichwohl entsteht eine spürbare Nähe.

Orientierung an der Mitte

Grund dafür ist der Entwurfsansatz. Mit Zurückhaltung, Bescheidenheit und Einfühlungsvermögen, unter Berücksichtigung eines hohen Qualitätsanspruches, werden architektonische Themen des Ortes und der Tradition weiterentwickelt. Lukas Imhof verwendet dafür den Begriff «Midcomfort». Das Buch zum Wohnkomfort und der Architektur der Mitte erarbeitete er an der Professur von Miroslav Šik, dem Begründer der Analogen Architektur, an der ETH Zürich. Dieses Gedankengut prägt seine Auffassung vom Planen und Bauen im Dienst der Gemeinschaft. «Architektur muss nicht nur die funktionalen Anforderungen des täglichen Lebens, sondern auch die emotionalen Bedürfnisse möglichst vieler Menschen erfüllen», schreibt Imhof. Diese Haltung passt bestens zum gesamtheitlichen Lebens- und Therapieansatz, der am Ekkharthof gepflegt wird. Die Berücksichtigung aller Sinne zeichnet generell hochstehende Architektur aus, ist aber ein anspruchsvolles Unterfangen.

Mit ausgreifenden Stützmauern wird der Neubau des Gemeinschaftshauses und Gastrogebäudes im Terrain verankert. Ähnlich geformte Mauern finden sich beim Hügelhaus und neu beim Eingang zur Schule. Wie beim gesamten Sockelgeschoss ist der Recyclingbeton gestockt, so dass die Zusammensetzung mit Ziegelschrot schön zur Geltung kommt. Auf dieser Ebene befindet sich die Küche. Sie ist grösser als üblich, damit Platz für die Betreuung der Mitarbeitenden bleibt.

An der Stirnseite führt eine Aussentreppe zur gedeckten Terrasse hoch. Sie umfasst die gesamte Länge des Gebäudes und orientiert sich primär zur Wiese. Damit, und mit der Stellung des Volumens, wird der Hof gestärkt. Die räumliche Absicht ist auch der Grund für den asymmetrischen Gebäudeschnitt, der im Widerspruch zur regelmässigen Grundrissstruktur steht: Wie bei einer Scheune ist der Innenraum symmetrisch aufgebaut, und das Vordach seitlich so weit heruntergezogen, wie es notwendig ist. Auf dem steinernen Sockel steht eine Konstruktion in Eschenholz, ausgefacht mit Glas. Sie wirkt robust und schwer. In ihrer kraftvollen Präsenz erinnert sie gar an die Betonstruktur des Ausstellungssaals im Musée national des Travaux publics von August Perret in Paris (1939). Die starke Wirkung hat mit den Proportionen zu tun, aber auch mit ihrer Ausbildung als selbstaussteifendes Rahmentragwerk: Zur optimalen Kraftübertragung sind die Knoten leicht konisch ausgebildet. Die gestalterische Umsetzung des statischen Prinzips stellt auf elegante Art eine Nähe zur anthroposophischen Formenwelt her, weisen die Fenster doch zwangsläufig abgeschrägte Ecken auf.

Dank der wuchtigen Dimensionen ist die Holzstruktur raumbildend. Zudem wirkt der Innenraum wegen der Symmetrie erstaunlich gefasst, obwohl das Gebäude komplett verglast ist. Auch die Möblierung in Eschenholz trägt zur Harmonie bei. Der Entwurf für Tisch und Stuhl stammt ebenfalls aus dem Büro des Architekten. Die Fertigung erfolgte in der hauseigenen Schreinerei – ein weiterer Aspekt gesamtheitlicher Denkweise.

Die grossformatigen Fenster des Saalgeschosses lenken den Blick auf die Felder und den See. Dank der Vordächer, die als Sonnenschutz fungieren, konnte besonders durchsichtiges Glas verwendet werden. Mit der konstruktiven und ortsbaulichen Öffnung des Ekkharthofs geht eine Öffnung im übertragenen Sinn einher: Sie steht für ein integratives Menschenbild, das Zukunft hat.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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