Architektur Forum Ostschweiz

Vermählung zweier Künste

Wein und Architektur sind eine enge Liaison eingegangen. Das Beispiel des Alten Torkels in Jenins zeigt, wie die Ehe funktionieren könnte

Beitrag vom 17. Juni 2017

Text: Caspar Schärer

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Die Aussicht nimmt einen gleich in Beschlag. Wer draussen unter der Pergola auf der Terrasse vor dem Alten Torkel in Jenins sitzt, überblickt das breite Rheintal von Trimmis bis nach Sargans. Von hier aus, im Frühsommerlicht eines Juninachmittags, zeigt sich die Bündner Herrschaft von ihrer besten Seite. Draussen in der weiten Welt ist die Region berühmt für Johanna Spyris Heidi. Doch nicht nur Einheimische wissen längst, dass da noch einiges mehr ist als nur ein pausbäckiges Mädchen aus einem bald 140 Jahre alten Roman.

Der Wein, natürlich: Die sanften Hänge an der rechten Talflanke werden grosszügig von der Sonne verwöhnt und eignen sich deshalb gut für den Anbau von Trauben. In Fläsch, Maienfeld, Jenins und Malans sind rund 350 Hektaren mit Reben bestockt; die Bündner Herrschaft gehört zu den kleinen Weingebieten der Schweiz. Aber inzwischen ist ebenso bekannt, dass nicht die Menge der entscheidende Faktor ist, sondern die Qualität.

Und damit kommt die Architektur ins Spiel, denn auch in der Baukunst hat sich die Herrschaft in den letzten dreissig Jahren einen Namen gemacht – ebenfalls mit Qualität und nicht mit Quantität. Weltweit bekannt wurde das Weingut Gantenbein der Churer Architekten Bearth + Deplazes, dessen Backsteinfassade von einem Roboter gemauert wurde. Bilder und Pläne so genannter Wein-Architektur landen seit Mitte der 1990er Jahre auf den Tischen der Architekturzeitschriften. Einmal mehr war das berühmte Büro Herzog & de Meuron ein früher Trendsetter, als es vor zwanzig Jahren im kalifornischen Napa Valley die Dominus Winery baute. Herzog & de Meuron legten damit die Latte gleich zu Beginn sehr hoch, indem sie all die sinnlichen Aspekte rund um den Wein brillant in besondere, geradezu geheimnisvolle Räume übersetzten. Später katapultierten sich die Burgenländer im Südosten Österreichs mit einer ganzen Reihe von Neubauten auf die Landkarte – ihren Wein damit natürlich auch! Dann kam die Toscana und letztes Jahr eröffnete in Bordeaux ein pompöses Museum, die Cité du Vin.

Rangordnung bleibt gewahrt

Die Erweiterung des Alten Torkels in Jenins gehört zwar zu dieser Familie der Wein-Architektur, es fehlt ihr aber gänzlich das Auftrumpfende und Überwältigende vieler ihrer Cousins und Cousinen. Schon das Weingut Gantenbein in Fläsch ist eigentlich ein bescheidener Bau, der sich in das Dorf und die Landschaft einfügt. Beim Alten Torkel in Jenins spielen diese Faktoren eine noch grössere Rolle. Zunächst die Siedlung: Die Weinstube bildet unübersehbar den dem Nachbarort Maienfeld zugewandten Dorfeingang. Dann die Landschaft: Die Reben reichen hier bis an den Strassenrand und sogar darüber hinaus. Siedlung und Landschaft sind in Weingebieten keine «Gegner», aber die Abgrenzung ist jeweils recht scharf. Während viele der neuen Architektur-Weingüter als isolierte Objekte einen Akzent in der Landschaft setzen und gleichzeitig versuchen, mit ihr zu verschmelzen, ist der Alte Torkel ganz klar ein Teil des Dorfes.

Ausgangspunkt für die Erweiterung war wie so oft ein regulatorisches Problem. Die Küche der beliebten Weinstube genügte schon länger nicht mehr den einschlägigen Vorschriften; nun drohte sogar die Schliessung. Die Platzverhältnisse waren ohnehin prekär, und so schrieb der Interessenverband Graubünden Wein zusammen mit dem Bündner Heimatschutz einen Studienauftrag für Architekten aus, den der Churer Architekt Pablo Horváth für sich entscheiden konnte. Es galt, das Restaurant mit einer zeitgemässen Gastroküche und neuen sanitären Anlagen auszurüsten, ausserdem sollte das Platzangebot des Restaurants ausgeweitet werden. Des Weiteren wünschte sich Graubünden Wein einen Ausstellungsraum zur Geschichte des Weinbaus in der Bündner Herrschaft und der Kanton ein Sitzungszimmer für besondere Anlässe.

Der neue Anbau wächst aus dem Altbau heraus – klar ist ersichtlich, wie er sich unter den First des Alten schiebt. Die Rangordnung bleibt gewahrt. An der schmalen Seite bäumt sich der Giebel expressiv auf, so dass er schon von Weitem erkannt wird, ohne jedoch aus dem üblichen Formenkanon herauszufallen. Die Fassade unter dem Dach wirkt wie aus einem einzigen Stein gemeisselt. Das liegt an der Bearbeitung des Sichtbetons, der gestockt wurde, also von einem so genannten Stockhammer aufgeraut. Auf diese Weise entsteht eine stärkere Tiefenwirkung, die Oberfläche wird plastischer.

In der Ausstellung sitzen

Einmal mehr beweist Pablo Horváth hier, dass er nicht umsonst bekannt ist als ein Architekt, der sorgfältig mit dem Bestehenden und Gewachsenen umgehen kann. Bei der Sanierung der Bündner Kantonsschule Cleric in Chur zeigte er, dass er ein architekturhistorisch wichtiges Schulhaus aus den 1960er-Jahren umsichtig und mit viel Liebe zum Detail auf einen heutigen Stand bringen kann, so dass sogar der Minergie-Standard eingehalten wird. In Jenins ist es die sensible Platzierung des Anbaus, die einen kleinen Vorplatz freilässt, die markante und doch bescheidene Formgebung des Gebäudes – und die feine Gestaltung des Innenraums, der sich so ganz anders präsentiert als erwartet.

Im Inneren erwartet die Besucher ein intimer, ganz in Eichenholz ausgeschlagener Raum, dessen einziges Fenster sich talabwärts zu den Rebhängen öffnet. In die dicken Mauern eingelassene Nischen laden zum Beieinandersitzen in kleinen Gruppen ein. Nur Eingeweihte wissen, dass sich die vermeintlichen «Schranktüren» zwischen den Nischen öffnen und zu einer zusammenhängenden Ausstellung über den lokalen Weinbau aneinanderreihen lassen. Genauso schnell werden die Paneele weggeklappt und der Raum wieder wie vorher.

Ein Mauerdurchbruch führt auf die Galerie im Altbau, den Horváth sanierte und umbaute. Nach wie vor dominiert die grosse Baumpresse aus dem frühen 18. Jahrhundert den Hauptraum der Beiz. An der Rückwand entwarf der Architekt eine so genannte Weinorgel, ein Präsentationsregal für all die Winzer von Graubünden Wein. Auf dem unteren Geschoss angelangt, ist es nur noch ein kleiner Schritt hinaus auf die Terrasse. Knapp die Hälfte der Fläche wird von einer Pergola auf wuchtigen Stützen besetzt, die einen eigenen Raum aufspannt. Hier sitzt man mitten in den Reben, vor sich das offene Tal, hinter sich die von der Junisonne aufgewärmte Betonwand des neuen Anbaus. Es wird Zeit, ein Glas Wein zu bestellen.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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