Architektur Forum Ostschweiz

Wann ist Bauen nachhaltig?

Für den Wärmeschutz von Neu- und Umbauten gelten strenge Bestimmungen. Das ist gut gemeint, doch um umweltschonend zu bauen, braucht es eine ganzheitliche Betrachtung und eine Debatte über unsere Komfortansprüche und den Umgang mit endlichen Ressourcen.

Beitrag vom 27. Oktober 2022

Text: Elias Baumgarten

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Plakate fordern uns seit kurzem auf, Energie zu sparen. Der Kanton Glarus postet in den sozialen Medien Verhaltensratschläge, um den Verbrauch an Strom, Brennstoff, aber auch an Papier zu senken. Seit Anfang Oktober muss den Beamten der kantonalen Verwaltung eine Raumtemperatur von 20 Grad genügen – selbst Schulzimmer werden nicht mehr stärker geheizt. Und in Sporthallen und Werkstätten gelten fortan 17 Grad als ausreichend. Auch die Boilertemperatur ist in den Bauten der Verwaltung heruntergeregelt, und auf die traditionelle Weihnachtsbeleuchtung werden der Kanton und die Gemeinde Glarus verzichten. In unserer Überflussgesellschaft wirkt das schockierend. Doch eigentlich sollten wir angesichts der Klimakrise längst unsere Anspruchsmentalität abgelegt haben und in allen Lebensbereichen achtsam mit Ressourcen umgehen – nicht erst, seit die Verknappung infolge des Ukraine-Krieges dies erzwingt.

Bei Gebäuden allerdings wird schon länger versucht, den Energieverbrauch zu senken, indem wir dichte, stark gedämmte Häuser bauen. Das Energiegesetz schreibt dafür U-Wert-Grenzwerte vor. Der U-Wert gibt an, wie viel Wärme durch ein Bauteil wie eine Wand oder ein Fenster nach aussen abgegeben wird. Je niedriger die Zahl, desto höher die Dämmwirkung. Die Grenzwerte sind zwar von Kanton zu Kanton leicht unterschiedlich, aber in der ganzen Schweiz streng. Die strikten Vorgaben gelten auch, wenn alte Häuser umgebaut werden, wobei dann für einzelne Bauteile etwas höhere U-Werte erlaubt sind. Für Baudenkmäler können Ausnahmegenehmigungen beantragt werden, denn man geht davon aus, dass sie nur einen kleinen Teil des Schweizer Gebäudebestandes ausmachen. So konnte man es zum Beispiel bei der Sanierung der «Beuge» in Näfels mit einem speziellen Dämmputz bewenden lassen, der den architektonischen Ausdruck des historischen Ensembles nicht stört.

Doch ist das Einpacken der Gebäude überhaupt der richtige Weg? Reicht es aus, sich auf die Heizenergie zu konzentrieren? Und wie kann bei Umbauten mit den gesetzlichen Bestimmungen umgegangen werden?

Ertüchtigen und bewahren – ein Widerspruch?

Ein interessantes und ermutigendes Anschauungsobjekt ist der Umbau eines freistehenden Häuschens (2017) auf einem Plateau hoch über dem Walensee von Nina Cattaneo und Pascal Marx, die damals gemeinsam das Büro Ruumfabrigg führten und das Projekt noch während ihres Studiums begannen. Zunächst war angedacht, den Strickbau aus dem Jahr 1778 abzubrechen und durch einen Neubau zu ersetzen. Doch es zeigte sich, dass die Konstruktion des Bestandes noch funktioniert und ein Neubau an diesem Ort wenig besser machen könnte als das alte Haus. Also entschieden Bauherrschaft und Architekten, dieses sanft zu sanieren und um einen modernen Anbau zu erweitern. Wertvolle Unterstützung kam dabei von der Denkmalpflege, die nachträglich die Schutzwürdigkeit des vormals nicht inventarisierten Hauses bestätigte. Dadurch vergrösserte sich der Spielraum der Architekten.

Die Aussenwände, die aus einem 12 Zentimeter dicken Strick aus Fichtenholz bestehen, der mit Moos abgedichtet wurde, wurden von innen und aussen sichtbar belassen. Auf die Dämmung des bestehenden Gebäudeteils wurde weitgehend verzichtet. Zu erwähnen ist, dass historische Holzkonstruktionen dieser Wandstärke schon U-Werte erreichten wie Bauten aus den 1970er-Jahren. Hilfreich war zudem, dass die offene Küche und der schöne, helle Essraum im neuen Gebäudeteil angeordnet sind, während sich im historischen Bau etwa das Schlafzimmer befindet, in dem niedrigere Temperaturen möglich sind. Ertüchtigt wurden am Bestand nur Bauteile, bei denen das einfach und ohne Verlust an Substanz und Atmosphäre möglich war: Die alten Holzfenster wurden durch neue ersetzt, die mit aufgesetzten Sprossen das äussere Erscheinungsbild bewahren, aber einen besseren U-Wert aufweisen. Der Täfer im Erdgeschoss wurde gleichwertig, jedoch mit höherer Dämmleistung erneuert. Auch die Böden und Wände gegen Keller und Terrain konnten ohne sichtbare Eingriffe gedämmt werden. Geheizt wird das Haus neu mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe und einem Ofen, sodass nur erneuerbare und lokal vorhandene Energieträger zum Einsatz kommen.

Lowtech, Naturbaustoffe und bewusster Verzicht

Im Zürcher Oberland stehen zwei Umbauten, bei denen noch radikalere Ansätze verfolgt wurden. Die junge Architektin Saikal Zhunushova hat beim Umbau eines historischen Flarzhauses bei Bauma (2019) die Südfassade geöffnet und verglast. Auf diese Weise heizt die Sonne den Boden und eine Fensterbank aus dunklem Schiefer auf, die als Speichermasse und passiver Kollektor fungieren. So ist neben einem zentralen Ofen keine Heizung mehr nötig. Die Holzkonstruktion des Bestandes und der im Inneren neu aufgetragene Lehmputz sorgen für ein wohliges und gesundes Raumklima. Der Heimatschutz rekurrierte zunächst gegen die Lösung, liess sich aber dank der ökologischen Vorteile umstimmen.

Freiwillig eingeschränkt hat sich die Bauherrschaft des Umbaus «Wolfen» (2021) in Sternenberg von Marazzi Reinhardt. Das historische Ensemble besteht aus einem Strickbau und einer neueren Erweiterung in Riegelbauweise. Am Bestand wurden nur minimale Eingriffe vorgenommen. Dafür ist die Bauherrschaft bereit, während der Wintermonate nur wenige Räume ihrer Behausung zu bewohnen.

Nachhaltigkeit erfordert eine ganzheitliche Betrachtung

Die vorgestellten Projekte zeigen, dass es weniger auf die Erfüllung pauschaler energetischer Vorgaben für einzelne Bauteile ankommt. Vielmehr müsste im Sinne der Nachhaltigkeit die Gesamtenergiebilanz von Erstellung und Betrieb in Zusammenhang mit der Architektur des Gebäudes betrachtet werden. Je mehr Substanz erhalten werden kann, je mehr regionale, umweltfreundliche Baustoffe zum Einsatz kommen und je weniger nicht-erneuerbare Ressourcen über den Lebenszyklus eines Gebäudes verbraucht werden, desto besser fällt sie aus.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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