Architektur Forum Ostschweiz

Wie Heerbrugg eine Chance vertut

Die neue Kantonsschule im Rheintal wurde gerade erst eingeweiht. Eine Skulptur von Alex Hanimann könnte in ihr ein Glanzlicht setzen, zeigt aber die Probleme mit Kunst am Bau.

Beitrag vom 23. August 2014

Text: Gerhard Mack

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Kunst am Bau ist eine umstrittene Aufgabe. Rund ein Prozent der Bausumme sollte für sie aufgewendet werden. Bauherren haben aber immer wieder das Gefühl, das Geld könnte für anderes sinnvoller ausgegeben werden, und wollen es einsparen. Architekten sehen sich gelegentlich selbst als Künstler, deren Raum­wirkungen durch visuelle Eingriffe gestört werden. Von Le Corbusier bis zu Richard Meier wollten manche von ihnen den Bauherren vorschreiben, wo sie ihre Bilder aufzuhängen hätten. Künstlerverbände dagegen kämpfen um Kunst am Bau, weil sie für ihre Mitglieder eine Einnahmequelle darstellt und Gestaltung zu ihren Kernkompetenzen zählt. Darin findet vor allem aber auch der Wettstreit seinen Ausdruck, in dem die Geschwister Kunst und Architektur schon in der Renaissance um ihre Positionen kämpften.

Welche Chancen und Schwierigkeiten das Zusammenspiel zwischen beiden in zeitgenössischen Bauten bereithält, zeigt exemplarisch die neue Kantonsschule in Heerbrugg, die diesen Mai ihre Eröffnung feierte.

Zentrale Eingangshalle

Die 1975 erbaute Anlage musste gebäudetechnisch saniert werden und entsprach mit ihrem Raumangebot nicht mehr den Anforderungen an einen zeitgemässen Unterricht. Huggenbergerfries’ Architekten aus Zürich behielten vom bestehenden Z-förmigen Ensemble Westtrakt und Turnhalle bei und verbanden sie durch einen zentralen viergeschossigen Neubau. Wer sich der Schule vom Dorf her nähert, trifft auf ein Gebirge aus Beton. Eine Fassade aus tragenden Betonstützen, die der Fensterschicht vorgelagert sind, verbindet die verschiedenen Bauten. Ein weiter Vorplatz aus Rampen, Treppen, Flächen und Einschnitten führt wie ein Prozessionsweg hinauf zum Eingang, der als überraschend niedere Schleuse ausgeführt ist. Erst wer durch sie hindurch gegangen ist, gelangt in eine zweigeschossige Eingangshalle, die als zentrales Gelenkstück die verschiedenen Bereiche erschliesst. Treppen verbinden Splitlevels, ein Balkon zieht sich über zwei Etagen den Wänden entlang. Tiefe Betonrippen geben der Decke eine starke Räumlichkeit, wie sie bereits die kassetierten und farbig gefassten Sichtbetondecken des sanierten Westflügels besitzen.

Hier schafft Architektur nicht einfach Räume, sie setzt sich auch kraftvoll selbst in Szene. Hier geht man nicht nur zur Schule, man betritt einen modernen Tempel der höheren Bildung. Dass die Schülerinnen in modi­schen Hot Pants und die Schüler in lässigen T-Shirts die Räume wechseln, dass sie mit der Wucht des Raums locker umzugehen wissen, tut diesem Eindruck keinen Abbruch.

Da verwundert es nicht, dass Alex Hanimann im Rahmen der Kunst-am-Bau-Gestaltung vorschlug, eine gut fünf Meter hohe Skulptur in die riesige Eingangshalle zu stellen. Er hat gespürt, dass die komplexe architektonische Situation einen Fokus braucht. Und er wollte wohl auch deutlich machen, dass dieser zentrale Blickpunkt nicht die Architektur, nicht die Lehrer, sondern einzig und allein die Schülerinnen und Schüler sein können. Ihrer Ausbildung dient die Kanti. Deshalb sollte eine Figur aus ihrem Kreis die realen Lernenden empfangen. Sie würde dem Ort physisch Halt und geistig Identität geben. Alex Hanimanns Skulptur ging aus einem eingeladenen Wettbewerb hervor. Die erste Fotomontage nach einer Schülerin wurde bald abstrahiert. Bei einem Spaziergang sah der Künstler einen verchromten Gartenzwerg und erkannte dessen Potenzial für seine Skulptur. Felix Lehner von der Kunstgiesserei St. Gallen schlug vor, sie aus Chromstahl treiben zu lassen. In China wird das Handwerk noch kostengünstig praktiziert.

Das Modell wurde in einem Casting ermittelt. Der Künstler wollte ein Mädchen im Gymi-Alter. Die Schul­leitung stimmte nach anfänglichen Vorbehalten zu. Unter den Schülerinnen der dritten Klasse, die sich auf die Anfrage des Künstlers meldeten, entsprach Vanessa am meisten den Anforderungen: «Ich suchte nach einer typischen Gymnasiastin, deren Ausstrahlung zurückhaltend, aber prägnant war», erinnert sich Hanimann.

Mit Hilfe von Fotos legte man sich auf Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhe als Kleidung fest und einigte sich auf Körperhaltung und Gestik. Ein Scan wurde angefertigt und aus Styropor gefräst, fehlende Details hinzugefügt und die fertige Vorlage im Massstab 1:1 nach China transportiert. Dort trieben Handwerker kleine Teil­flächen, schweissten sie zusammen und polierten die fertige Figur auf Hochglanz. Ganz beiläufig spiegeln sich in ihr die Schülerinnen und Schüler, die vorbeigehen.

Vanessa ist dann trotz ihrer fünf Meter Länge eine von ihnen, sie sind für Augenblicke ein Stück weit wie sie. Ein Konzept, das einsichtiger und griffiger kaum sein kann. Und ein hervorragendes Beispiel dafür, was Kunst am Bau leisten kann.

Vanessa – ein Koloss

Was sieht man nun aber, wenn man die Kanti Heerbrugg besucht? Vanessa steht nicht im Zentrum der Eingangshalle, sie darf nicht den Mittelpunkt beanspruchen, sondern ist dicht vor den Eingang geschoben. Dort wird sie den Schülern fast auf die Nase geschubst. Der erste Blick trifft auf die Beine. Vanessa ist nicht mehr eine von ihnen, sondern ein Koloss, dessen Körper fast fragmentiert wird, wie die Überreste einer antiken Statue.

Begründet wird die Positionierung mit praktischen Erwägungen. Ein örtlicher Musikverein will hier seine Aufführungen durchführen, die Schule will offen sein für die Gemeinde. Das klingt freundlich, kann aber so kaum stehen bleiben; zu sehr scheint sich darin eine Haltung zu spiegeln. Denn die Skulptur ist nicht nur aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Da, wo sie jetzt steht, wird sie auch eingebunden in die komplizierte architektonische Inszenierung, statt diese zu klären.

Wer zum Ausgang strebt, nähert sich der Figur von hinten. Da sieht sie aus, als wollte man sie aus der Schule hinausschieben. Dazu passt, dass die Schulleitung Pinboards auf Rollenständern in die Halle gestellt hat, die den offenen Raum versperren. Eine dieser Tafeln steht direkt neben Vanessa. Sie enthält die «Verlaut­barungen des Rektorats ». Das wirkt so, als wollte man sie reglementieren. Da könnten Kanton St. Gallen und Kanti Heerbrugg mit einer der spannendsten Skulpturen der letzten Jahre glänzen und ziehen es vor, auf diesen Aufbruch zu verzichten. Eine Verschiebung um ein paar Meter in die Mitte hätte Kunst und Architektur zu einem grossartigen Einklang gebracht. So hat sich die Schule lediglich pflichtschuldigst mit einer Skulptur ausgestattet. Kunst am Bau ist wieder einmal eine ungeliebte Pflicht.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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