Bossart schafft stimmige Räume
Der St.Galler Architekt Bruno Bossart hat in der Ostschweiz eine ganze Reihe von Kirchen an die neuen Bedürfnisse angepasst. Liturgisch ist der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeleitete Wandel vollzogen, baulich aber noch nicht überall in die Sprache der Architektur übersetzt.
Beitrag vom 14. März 2015
Text: Martin Tschanz
- ← Übersicht
- ← Karte
- → Vorwärts
- ← Rückwärts
Nicht vonungefähr sagt man, die Kirche bleibe im Dorf. Als Institution und als Architektur steht die katholische Kirche gleichermassen für Beständigkeit – und doch gibt es Veränderungen. In den frühen 1960er-Jahren wurde die Bedeutung der Laien durch das Zweite Vatikanische Konzil gestärkt. Unter dem Schlagwort der tätigen Teilnahme der Gemeinde hatte dies unter anderem zur Folge, dass sich der Priester nun dem Kirchenvolk zuwandte, um die Messe zu zelebrieren.
In vielen Kirchen mussten dafür neue Altäre aufgestellt werden, die nun frei im Raum standen. Meist behalf man sich dabei zunächst mit Provisorien, die erst allmählich durch definitive Lösungen ersetzt wurden. So ist diese noch relativ junge Entwicklung der katholischen Liturgie in den vergangenen Jahren in die dauerhafte Sprache der Architektur übersetzt und festgeschrieben worden.
Eingriff in der Kathedrale
Das bekannteste Beispiel dafür ist der neue Altar in der Kathedrale von St. Gallen, den die Architekten Caruso St John gestaltet haben. Die Diskussion, die dieser sensible Eingriff in das barocke Gesamtkunstwerk ausgelöst hatte, ist ein Zeichen für seine weitreichende Bedeutung. Dabei war er insofern relativ unproblematisch, als der neue Altar vor dem Hintergrund des prunkvollen Chorgitters einen selbstverständlich wirkenden Ort fand, während der Raum dahinter und der bestehende Hochaltar unangetastet blieben.
Gefahr einer drohenden Leere
Im Normalfall der zahlreichen Gemeindekirchen gibt es jedoch keinen Mönchschor. Die Verschiebung des Altars, auf den sich der ganze Bau vorher ausgerichtet hatte, droht daher oft eine unangenehme Leere entstehen zu lassen. Bruno Bossart, der in der Ostschweiz eine ganze Reihe von Kirchen an die neuen Bedürfnisse der Liturgie angepasst hat, spricht in diesem Zusammenhang von einer Art räumlichem Vakuum, das gestalterisch bewältigt werden muss.
Ostermahl statt Altar in Flawil
In der St. Laurentiuskirche in Flawil, die er 1995 erneuert hatte, nimmt daher ein neugeschaffenes Ostermahl die alte Stelle des Altars ein. Es ist ein Symbol für das leere Grab, öffnet sich zum Morgenlicht hin und nimmt in seiner Mitte den bestehenden Tabernakel auf. Der neue, nach vorne gerückte Altar steht als Tisch auf einem Stufenpodest, das kreisförmig in das Kirchenschiff ausgreift. Er wird von den damit verknüpften Bereichen der Anbetung und der Taufe flankiert, die an die Stelle der alten, nicht mehr benötigten Seitenaltäre getreten sind.
Hinter dem Altar stehen vierzehn steinerne Stelen, die mit ihrem oberen Abschluss aus Bronze an Kerzen erinnern, vielleicht auch an menschliche Figuren oder an die Zinnen einer Stadtmauer. Wie auch immer man sie deuten mag, vermitteln sie räumlich zum noch weiter zurück liegenden Ostermahl und zur Geometrie des bestehenden Kirchenraums. Dieser wird dadurch bühnenartig auf das Geschehen am Altar fokussiert, so dass die heilige Handlung räumlich und symbolisch einen angemessenen Rahmen erhält.
Bei der Ausarbeitung dieser neuen räumlich-ikonographischen Einheit innerhalb der schlichten, 1935 von Karl Zöllig erbauten Kirche spielte der damalige Pfarrer, der heutige St. Galler Bischof Markus Büchel, eine wesentliche Rolle. Ihn bezeichnet Bruno Bossart als seinen Lehrmeister in liturgischen Fragen.
Referenzen aus der Malerei
Der Architekt arbeitet beim Entwerfen oft mit Referenzen aus der Malerei, die ihm beim Entwickeln und Vermitteln seiner Vorstellungen helfen. Man braucht diese aber nicht zu kennen – in diesem Fall das berühmte Abendmahl von Leonardo da Vinci –, um einen Zugang zu seiner Architektur zu finden. Bossart baut keine Bilder, sondern übersetzt deren Themen in die Sprache seiner Kunst, die mit ihren eigenen Mitteln unmittelbar unsere Wahrnehmung anspricht. In diesem Fall inspirierte der Saal des Bild zu den Stelen des Kirchenraums. Beide geben dem Abendmahl seinen Raum. Die Tragfähigkeit der bei der Flawiler St. Laurentiuskirche erarbeiteten Prinzipien zeigt sich in einer ganzen Reihe von Nachfolgebauten, auch wenn jede Lösung auf dem vorgefundenen Bestand aufbaut und dementsprechend einzigartig ist.
Alt und Neu im Gleichgewicht
Beispiele dafür sind: St. Joseph in Muolen (1999), St.Michael in Lütisburg (2003), St.Ulrich in Oberbüren (2012) und St. Gallus in Libingen (2013). Das jüngste Beispiel ist die Kirche St.Eusebius in Niederwil, die Bossart in Zusammenarbeit mit dem Pallottinerpater Adrian Willi gestaltet hat. Auch hier erhielt der neue, der Gemeinde zugewandte Altar einen optisch und inhaltlich sinnvollen Hintergrund durch ein neues Chorraum-Element, das in diesem Fall das offene Haus von Emmaus symbolisiert.
Erbaut wurde es aus dem Stein des alten Altars, während der neue die zwölf Stangen aus Schmiedeeisen mit den Namen der Apostel integriert, die früher die Chorraumschranke gebildet haben und nun den Tisch des Abendmahls umgeben. Die alte Christusfigur erhielt ein neues Kreuz, und die neue Farbigkeit verleiht der bestehenden Deckenmalerei und den Mosaiken von 1958 neue Kraft. Damit lebt das Alte im Neuen weiter: Die Kirche bleibt im Dorf und ist das Resultat einer reichen Geschichte mit zahlreichen Umbauten und Erneuerungen, wobei es mit der jüngsten Etappe gelang, die unterschiedlichen Teile wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Ungleiches zusammenführen
Bruno Bossart beweist bei solch schwierigen Aufgaben einen ausserordentlichen Sinn für Gleichgewichte, der es ihm erlaubt, Altes und Neues, Grosses und Kleines, Flächiges und Plastisches, kurz Ungleiches aller Art in eine stimmige architektonisch- räumliche Komposition zusammenzuführen. Es ist kein Zufall, dass seine Arbeiten oft an die Werke des grossen italienischen Architekten und Gestalters Carlo Scarpa erinnern. Wie dieser ehrt er das Handwerk, pflegt die Kunst von Profilierung und Rahmung und weiss eine fast barock anmutende Sinnlichkeit mit moderner Eleganz zu kombinieren.
Auf diese Weise gelingt es Bossart immer wieder, wie bei St.Eusebius, die Flurschäden vergangener Eingriffe zu beheben. Solches ist heute zunehmend von Bedeutung, nicht nur im Sakralbau.
Bildnachweis
Hanspeter Schiess