Architektur Forum Ostschweiz

Dank Fernwärme gut gerüstet

St.Gallen baut die Fernwärme schrittweise aus. Das Büro von Thomas K. Keller gibt ihr über den Bau von Fernwärmezentralen eine prägnante architektonische Gestalt, die auf einem quadratischen Grundraster beruht.

Beitrag vom 22. Dezember 2018

Text: Christoph Wieser

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Manchmal schliesst sich der Kreis: Auf dem Gelände der ehemaligen Deponie Waldau im Westen von St. Gallen steht seit vergangenem Jahr eine Fernwärmezentrale, deren Hauptenergiequelle verbrannter Abfall ist. Das für die Fernwärmeversorgung benötigte heisse Wasser wird im Sittertobel in der Kehrichtverbrennungsanlage aufbereitet, die sinnigerweise in «Kehricht-Heizkraftwerk» umgetauft worden war. Die Namensänderung verweist auf die Karriere des Kehrichts, der vom Abfall, der ursprünglich ausserhalb der Stadt entsorgt wurde, zum begehrten Wertstoff oder, wie hier, zum Energielieferanten mutierte.

Das hallenartige Bauwerk mit bewegter Dachsilhouette stellt ein positives, zukunftsgerichtetes Symbol einer im Bereich der Energieversorgung auf Nachhaltigkeit setzenden Stadt dar. Es ist ein Industriebau, aber einer, den man gerne zeigt. Der am Rand eines Wohnquartiers mitten in einem kleinen Park stehen kann, ohne dass davon die spielenden Kinder beeinträchtigt würden. Kein Russ steigt aus den Kaminen und der Geräuschpegel im Innern wird über die Betonhülle gedämmt.

Symbol des Energiekonzepts 2050

Die Fernwärmezentrale Waldau ist der erste Hochbau, der im Rahmen des Energiekonzepts 2050 erstellt wurde. Dabei steht die Förderung der Energieeffizienz und erneuerbarer Energien in den Bereichen Wärme, Elektrizität und Mobilität im Vordergrund. Zu den wichtigsten Massnahmen gehört der Ausbau der Fernwärme, denn heute entfallen über 40 Prozent des städtischen Energiebedarfs auf die Wärmeversorgung. Die Fernwärme, gespeist aus Abfall, stellt dabei eine ressourcenschonende, zukunftsweisende Möglichkeit dar. Der Zentrale Waldau kommt im Netz eine dreifache Rolle zu: Erstens befinden sich hier die Pumpen, mit denen das 80 bis 130 Grad heisse Wasser vom Sittertobel auf den Talboden befördert wird, von wo es zu den Verbrauchern weitergeleitet wird. Zweitens stehen zwei Heizkessel zur Abdeckung der Spitzenlast an sehr kalten Tagen und als Rückversicherung zur Verfügung, falls im Kehricht-Heizkraftwerk eine Störung auftreten sollte. Als Energiequelle dient Öl, was derzeit unvermeidbar, aber ein Schönheitsfehler ist. Drittens wurde ein riesiger Wärmespeicher eingebaut, der die Schwankungen im Netz ausgleichen kann. Daneben ist noch Platz frei für zwei Blockheizkraftwerke und im nordöstlichen Teil befindet sich ein Tausalzlager des städtischen Tiefbauamts.

Vom System zur Gestalt

Es ist St. Gallen hoch anzurechnen, dass die Stadt über einen Studienauftrag nach einem Konzept suchte, das dem Ausbau der Fernwärme einen architektonisch hochstehenden Ausdruck aus einer Hand geben wird. Das siegreiche Büro von Thomas K. Keller ist derzeit bereits an der Planung einer zweiten Zentrale im Osten der Stadt (Lukasmühle). Die Grundlage bildet erneut das im Wettbewerb entwickelte baukastenartige System. Dieses lässt sich auf einfache Weise an den jeweiligen Standort und die Nutzung anpassen und ist dennoch wiedererkennbar:

Eine schlanke, vorfabrizierte Betonstruktur mit einem Raster von sechs mal sechs Metern bildet das räumliche Gerüst. Dessen Hülle besteht aus shedartigen Oberlichtern und Wänden aus Ortbeton. Die Ausfachungen des Tragwerks könnten auch aus einem anderen Material sein und die quadratischen Oberlichter, deren geschlossene Flächen mit Solarpaneelen belegt sind, lassen sich beliebig drehen.

Die einfache Grammatik ebenso wie die reduzierte Farbigkeit und die robuste Materialisierung der Fernwärmezentrale erinnern an herkömmliche Industriebauten. Allein die Elemente sind mit hohem gestalterischem Anspruch entworfen und so miteinander verbunden, dass das Resultat mehr ist als die Summe seiner Teile. Die Stützen sind beidseitig abgeschrägt, unten schmal und oben breiter, wo sie auch stärker aus der Wandebene hervortreten. Die Stützenköpfe wirken ein bisschen wie archaische Kapitelle, sind ebenfalls konisch ausgebildet und leiten mittels einer weiteren Schräge zu den Randträgern über. Dadurch entsteht über die simple Reihung der Joche hinweg ein visueller Zusammenhalt. Auch deshalb, weil bei den Knoten die einzelnen Tragelemente zu festen dreidimensionalen Rahmen verbunden sind und elegant von den Längs zu den Stirnseiten überleiten. Eine bewegte fünfte Fassade bilden die Oberlichter und die beiden Kamine, die der Zentrale einen dynamischen Abschluss geben.

Zwischen die Primärstruktur, die das Gebäude gliedert, sind je nach dahinterliegender Nutzung unterschiedliche Füllungen gesetzt: wandhohe Rolltore beim Salzlager, verglaste Öffnungen beim Treppenhaus und der Kesselhalle sowie in den vordersten zwei Jochen kolossale Drehtüren aus Beton, damit die Heizkessel bei Bedarf ersetzt werden können. Alle geschlossenen Flächen bestehen aus Mischabbruch-Recylingbeton. Unter Mischabbruch werden mineralische Materialien verstanden, die beim Rückbau eines Gebäudes anfallen. Hier wurden dem Beton vorwiegend zerkleinerte Backsteinstücke beigemischt, die den gestockten Oberflächen einen warmen, roten Farbton verleihen.

Während das Treppenhaus ebenfalls gestockt wurde, ist die Kesselhalle betont nüchtern gehalten: Die unbehandelten Füllungen aus Ortbeton und die etwas dunkleren Betonelemente der Tragstruktur und Oberlichter sind mit der silbernen Technik und braun gestrichenen Stahlteilen kombiniert. Trotz dieser Zurückhaltung ist die Raumwirkung der zwölf Meter hohen Halle beeindruckend. Insbesondere, weil über den vertikalen Lichteinfall die architektonischen Elemente und die technischen Einbauten plastisch modelliert werden. Auch wenn die Anlage kein rauchender Koloss mehr ist wie frühere Kesselanlagen: Die Technik entfaltet dennoch eine elementare Kraft, die von der Architektur gerade so weit gebändigt wird, dass die Einbettung ins Wohnquartier glückt.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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