Dezentral und regional
Vereinte das alte Weberhöckli traditionelles Handwerk und ländliches Wohnen, findet im neuen Atelierhaus des Büros Flühler Architektur nun ein ähnliches Raumprogramm in moderner Interpretation Platz. Wie zuvor prägt dabei regionales Holz die Erscheinung des Neubaus, der kreatives Arbeiten und qualitätsvolles Wohnen in Rehetobel unter einem Dach zusammenbringt.
Beitrag vom 29. Februar 2024
Text: Theresa Mörtl
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Grüne Hügelketten und landwirtschaftliche Betriebe prägen die Landschaft im Appenzell – ebenso typisch für die Region sind die Weberhöckli. Im Gegensatz zu anderen Haustypen sind diese einfachen Weberhäuser meist ohne Stallanbau und oft an schattigen, abschüssigen Lagen positioniert. Genauso hat für etwa 140 Jahre eines dieser Handwerkshäuser eine hanglagige Bauparzelle in der Landwirtschaftszone am Rande einer Streusiedlung von Rehetobel in Appenzell Ausserrhoden besetzt. Aufgrund dieser Ausgangslage und insbesondere durch die dezentrale Lage des ehemaligen Bestandsbaus hatten bei diesem Neubauprojekt die kantonalen Vorschriften zur Erhaltung des Landschaftsbildes im Ausserrhodischen oberste Priorität, steht der Neubau doch ausserhalb der Bauzone. Unter anderem war das Gebäudevolumen beizubehalten, ein massives Sockelgeschoss samt Holzaufbau umzusetzen, die ortstypische Täferfassade aufzugreifen und eine angemessene Einbettung ins Terrain zu gewährleisten.
Angesichts dieser expliziten Vorschriften war der Spielraum für die Gestaltung eng bemessen, während hingegen bei der Umsetzung der Innenräume und des Anbaus gewisse Freiheiten bestanden. Das auch, da zusätzlich 30 Prozent des vorhandenen Ausgangsvolumens ergänzt werden konnten. Die Architekten entwickelten in enger Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft, die bereits klare Vorstellungen hatte und bestimmte Elemente aus dem Vorgängerbau übernehmen wollte, einen überaus angemessenen Ersatzneubau. Dessen feinfühlige Transformation der traditionellen in eine zeitgemässe Architektursprache, seine optimale Einpassung in die Umgebung sowie seine natürliche Materialisierung zeichnen den Bau aus. Man könnte auch sagen, dass der Neubau die Appenzeller Bautraditionen auf gewisse Weise weiterführt und beispielhaft stehen kann für vergleichbare Aufgaben.
Ausgeführt wurde ein Holzbau aus Schweizer Fichte auf einem Ortbetonsockel – dank des abgestuften Untergeschosses eingebettet in den bestehenden, steilen Geländeverlauf. Charakteristisch für das Atelierhaus sind die typischen, nach Süden ausgerichteten Bandfenster mit Fallläden und die gegliederte Kassettenfassade aus vorvergrauter Fichte über alle drei Geschosse. Ebenso prägend ist die Lochfassade mit spärlichen Öffnungen auf der Nord- und Westseite. Während die Südfassade den Repräsentationscharakter des einstigen «Höckli» aufnimmt, halten sich die übrigen drei Gebäudeseiten bewusst zurück. Mit einer einheitlichen Farbgebung der Fassade und des Eternit-Daches wird die beabsichtigte Gesamtwirkung des in den Weiler integrierten Solitärs verstärkt.
Auch die innere Gestaltung spiegelt die Anbindung an die regionale Bautradition wider: Die neue Raumordnung entspricht dem klassischen Grundriss des Appenzellerhauses, das trotz begrenzter Fläche grosszügigen Wohn- und Arbeitsraum gewährleistet. Jedoch wurde die traditionellenelle Typologie des Kreuzgrundrisses mit der Unterteilung in ein Hinter- und ein Vorderhaus einfühlsam ins Hier und Jetzt übersetzt, und die Nutzungen wurden über die drei Geschosse verteilt. Mit direktem Zugang zum Sitzplatz mit schöner Aussicht nimmt der Arbeitsraum das Untergeschoss ein, in dem zudem noch ein Kaltlager sowie der Technikraum Platz finden. Im darüberliegenden Wohngeschoss sind die Stube, ein Nebenraum sowie die Küche untergebracht und zuoberst das Malatelier sowie ein Schlafzimmer samt Bad im Hinterhaus. Neben der Raumordnung und dem weiterentwickelten Kreuzgrundriss wurde auch den Raumabschlüssen Beachtung geschenkt. So bedient jede Tür zwei Öffnungen, sodass sie einmal klassisch den einen vom anderen Raum trennt und ein anderes Mal, sozusagen im geöffneten Zustand, zugleich einen Kasten oder das Treppenhaus abschliesst.
Nicht nur mit seiner Formensprache, Gestaltung und inneren Organisation, sondern auch mit der Materialwahl orientiert sich der Neubau an der Appenzeller Bautraditionen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Rohstoff Holz, der das architektonische Konzept entscheidend prägt. Für den gesamten konstruktiven Holzbau wie auch für den Innenausbau wurde Schweizer Fichtenholz weitestgehend unverarbeitet verwendet. Das spiegelt nicht nur die handwerklichen Traditionen der Region wider, sondern lässt sämtliche konstruktive Aufbauten ablesbar. Selbst in der Innenausstattung kommen diese Gestaltungsintentionen zum Tragen: Die ebenfalls regional produzierten und lediglich geölten sogenannten Tillböden – traditionelle Massivholzböden – greifen nicht nur die Baukultur auf, sondern schaffen zugleich eine behagliche Raumatmosphäre. Abgerundet wird das Ambiente im Holzhaus vom Kachelofen in auffallendem Königsblau, der den Mittelpunkt des Hauses repräsentiert, und traditionellen Elementen wie den Zugläden mit Lederriemen.
Einfach und dennoch auffallend zeigt sich darüber hinaus die ergänzende Ausstattung, die bewusst auf kräftige Farben verzichtet und das Gesamtpaket stimmig abrundet. Allerdings gibt es Aunahmen: Neben dem königsblauen Ofen als zentrales Element der Stube präsentiert sich die Haustür zweifarbig in Rot und Orange. Akzente setzen auch die Küchenzeile aus Chromstahl und der Nassbereich, der ebenfalls mit Chromstahl-Verkleidung ausgeführt ist. Dieses Grundprinzip von «weniger ist mehr» zeigt sich auch bei der zurückhaltenden Möblierung. Dank unzähliger Einbauschränke sind keine zusätzlichen Möbel als Stauraum nötig. In den Innenräumen wurden Familienerbstücke mit Designklassikern kombiniert, die ebenso wie die äussere Erscheinung die Geschichte des exponierten Hauses an der ehemaligen Kantonsbundesstrasse aufgreifen. Der Neubau vereint unterschiedlichste Ansprüche unter einem Dach: Das traditionelle Appenzellerhaus ist modern interpretiert, die lokale Bautradition mit spielerischen Details weiterentwickelt und das gegebene Terrain weitestgehend belassen. Nicht zuletzt wird das Wohnen mit dem Arbeiten auf kleinem Raum verknüpft.
Bildnachweis
Ladina Bischof