Architektur Forum Ostschweiz

Vor dem Haus oder schon im Garten?

Auf dem Grundstück der histo­rischen Villa Freien­stein in Glarus steht eine bisher im Kanton einzig­artige Wohn­an­lage: Bei der Ge­staltung der Neu­bauten rückte Architekt Reto Fuchs die Gemein­schaft in den Mittel­punkt und setzte die seit 1861 bau­gesetzlich ver­ankerte Vor­garten­zone um. Das Ergebnis sind vier von quali­täts­vollen Grün­räumen um­gebene Reihen­häuser, die sich gut in die Stadt­struktur ein­fügen.

Beitrag vom 28. März 2024

Text: Theresa Mörtl

  • Bild zum Beitrag Die Häuser sind strassenseitig über private Vorgärten erschlossen.
  • Bild zum Beitrag Die neuen Häuser verfügen über ruhige Gärten auf der Rückseite und einen Zugang zum gemeinschaftlich genutzten Park Freienstein. Anders als üblich, sind die Grünräume nicht voneinander abgetrennt
  • Bild zum Beitrag Die Gärten der Häuser sind nicht durch Zäune, Hecken oder ähnliche Elemente voneinander abgetrennt. Ein Reglement sorgt dafür, dass diese Qualität zukünftig erhalten bleibt.
  • Bild zum Beitrag Die Vorgärten sind teils gepflastert, teils begrünt und erinnern an italienische Piazze.
  • Bild zum Beitrag Der Park der historischen Villa Freienstein, der an die Gärten anschliesst, wird gemeinschaftlich genutzt.
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Wie sich grüne Wohn­konzepte mit Städte­planung vereinen lassen, spiegelt beispiel­haft das historische Stadt­bild ent­lang der so­genan­nten «Wohn­strassen» von Glarus wider. Nachdem 1861 ein Gross­brand zwei Drittel der Alt­stadt zerstört hatte, wurde der Kantons­haupt­ort nach dem Entwurf der beiden Stadt­planer Bernhard Simon (1816–1900) und Johann Caspar Wolff (1818–1891) neu auf­gebaut. Diese defi­nierten zwei neue Typen von Strassen für den Bereich entlang der Nord-Süd-Achse, die den Ort durchzieht: eine Haupt­strasse für den Durch­fahrts­verkehr und zwei laterale Wohn­strassen, die Sand- und die Burg­strasse. Letztere wurden im Rahmen der Neu­gestaltung mit lang­gezogenen privaten Vor­gärten gesäumt, so­dass das Motiv kleiner Grün­zonen vor den Haus­ein­gängen bereits Ende des 19. Jahr­hunderts in die Glarner Städte­planung Einzug hielt. Deren Be­deutung für das Stadt­gefüge wurde früh erkannt und im Bau­gesetz fest­gehalten: Waren die Gebäude­höhen nicht explizit definiert, wurden hin­gegen bereits Para­grafen für die Aus­formu­lierung der Gärten, Zäune und Mauern entlang der Wohn­strassen im Regel­werk fest­gehalten. Auf diese Gesetze sind nun die frei­räumlichen Quali­täten der dort ange­siedelten Zeilen­häuser zurück­zuführen – strassen­seitige Vor­gärten mit Zu­gang zum ruhigen, rück­wärtigen Innen­hof. Eine Gestaltung, die auch bei einem ganz besonderen Grund­stück der Stadt Glarus an der neu gestal­teten Süd­seite wieder­zufinden ist: jenem der Villa Freien­stein.

Aus der Reihe tanzen

Das historische Anwesen fällt aus dem strengen städte­baulichen Strassen­raster: Der Herr­schafts­bau gehört zu den wenigen, die den besagten Brand über­standen haben. Das geschichts­trächtige Bau­werk steht auf einer 3500 Quadratmeter grossen Parzelle, die schräg im ortho­gonalen Stadt­gefüge liegt. Zugleich macht das Grundstück am nord­westlichen Rand des Wieder­aufbau­gebiets von 1861 durch seine Nutzung auf sich auf­merksam: Nachdem ein Investoren­projekt, das eine Block­rand­bebauung mit maximaler Aus­nutzung vorsah, bei der Denkmal­pflege auf Ab­lehnung stiess, konnte der Glarner Architekt Reto Fuchs mit seiner Idee einer un­üblichen, jedoch ange­messenen Bebauungs­struktur über­zeugen. Mit dem Konzept einer gemein­schaftlich genutzten Park­anlage sowie der Platzierung von vier neuen Reihen­ein­familien­häusern an der Land­strasse schaffte er es, den gross­zügigen Grün­raum des Parks Freien­stein zu bewahren, das städte­bauliche Potenzial der Parzelle nutzen und den Vorstel­lungen der da­maligen Stadt­planer Johann Caspar Wolff und Bernhard Simon gerecht werden. Mit der Aus­formu­lierung von Vor­gärten an der süd­seitigen Grund­stücks­grenze der Villa Freien­stein knüpfte er fein­fühlig an die um­liegende Stadt­struktur an und führte gleich­zeitig ein alt­bekanntes, ver­bindendes Element zwischen Haus und Stadt wieder ein.

Genauso wie diese kleinen Garten­ein­heiten als Binde­glied und Über­gang zwischen Strassen­raum und Haus funktio­nieren, fokus­sieren die neuen Reihen­häuser auf das gemein­schaftliche Neben­einander statt auf die Tren­nung der Wohn­ein­heiten. Die vier Ein­familien­häuser teilen sich die Nutzung des gemein­schaft­lichen Parks der Villa, der direkt an die jeweiligen Terras­sen der einzel­nen Wohn­ein­heiten angrenzt. Stadt­seitig werden die Häuser hingegen über die privaten, gepflasterten und teils begrünten Vorplätze erschlossen, die an kleine italienische Piazze erinnern. Die klar aus­formulierten Haus­zu­gänge gestalten den Über­gang vom öffent­lichen zum privaten Raum und ver­mitteln den typischen Reihen­haus­charakter.

Alte Muster, neue Denkweisen

Wenn auch diese Vor­gärten im Sinne der Stadt­raum­gestaltung von 1861 als private Flächen aus­gebildet wurden, mussten sich indi­viduelle (Gestaltungs)­Wünsche dem städte­baulichen Gesamt­bild bisher unter­ordnen – eine Regu­lierung, die in der heutigen Zeit auf wenig Akzep­tanz stösst. Der Garten wird als Privat­eigentum ver­standen und ent­sprechend gestaltet und abge­grenzt. Dies zeigt sich vor allem bei jüngeren Reihen­haus­siedlungen der letzten 50 Jahren, deren Gärten deutlich vom Stadt­raum ab­getren­nt sind. Der Fokus liegt auf der An­bindung zum Wohn­haus – eine Ent­wicklung, die letztlich im Verlust der städte­bau­lichen Relevanz der Vor­gärten resultiert. Dieses «Einigeln» und Sepa­rieren ist im Park Freien­stein jedoch kein Thema: Park­seitig organi­siert ein Regle­ment die Nutzung der Flächen und deren indivi­duelle Gestaltung. Es unter­bindet das Aufstellen von Zäunen oder Sicht­schutz­elementen, sodass die Nach­bar­schaft in den Fokus rückt und zugleich das homo­gene Er­scheinungs­bild der histo­rischen Grün­fläche gewahrt wird. Ebenso regeln die Park­statuten die Be­pflanzungen: Bäume und Sträucher sind grund­sätzlich zu erhalten bezieh­ungs­weise bei Krank­heit oder Ähnlichem im Rahmen des Park­konzeptes zu ersetzen.

Auch für die erwähnten Vor­garten­bereiche der Stadt Glarus, die nach der kom­munalen Bau­ordnung ge­schützt sind, konnte der Frei­raum bisher gesichert und der Bau von Park­plätzen verhindert werden. Zudem hat die Gestaltungs­kom­mission der Gemeinde Glarus ein Mer­kblatt bezüglich Ein­friedungen erstellt, um der­artige Vor­gaben konse­quenter umsetzen zu können. Als Vorbild für ein solches Mit­einander auch im grös­seren urbanen Kon­text kann das Pilot­projekt des Parks Freien­stein mit seinem beim Namen genom­menen freien, nachbar­schaftlichen Mit­einander dienen.

Bildnachweis

Ladina Bischof

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