Architektur Forum Ostschweiz

Werkplatz 2.0 – so geht’s auch

Gestaltung statt Beliebigkeit, Atmosphäre statt Billigbau – zwei Industrie­bauten in Wolfhalden und St.Gallen zeigen, wie Bauen für das produ­zierende Gewerbe heute aussehen kann. Eine Auf­forderung zum Nach­ahmen.

Beitrag vom 30. November 2023

Text: Stefanie Haunschild

  • Bild zum Beitrag Camouflage: Der Neubau der Firma Bach Heiden (in der linken Bildhälfte) könnte auch als zeitgenössischer Wohnbau durchgehen.
  • Bild zum Beitrag Der Eingangsbereich der Bach Heiden AG ähnelt in Dimension und Materialisierung den umliegenden Wohngebäuden. Die Eingangstüre aus subtil gewölbten Holzlatten stammt aus eigener Produktion.
  • Bild zum Beitrag Transparenz prägt die Büros der Bach Heiden AG. Der Blick schweift auf allen Seiten immer wieder ins Grüne.
  • Bild zum Beitrag Die dunkel gestrichene vertikale Holzlattung findet sich so ähnlich auch bei den landwirtschaftlichen Gebäuden in der Nachbarschaft.
  • Bild zum Beitrag Die Ostseite des Baus der Firma HB Therm: Die horizontale Gliederung wird akzentuiert durch die umlaufenden Wartungsstege.
  • Bild zum Beitrag Die Produktionshalle fügt sich nahtlos an den Hauptbau an, ist aber konstruktiv so von ihm getrennt, dass es keine Übertragung von Lärm und Vibrationen gibt.
  • Bild zum Beitrag Der Liftturm (links) und der Turm für die Fluchttreppe sorgen für die Erschliessung und markieren den Eingang zum Gebäude.

Gewerbebauten finden selten den Weg in Architektur­zeit­schriften. Was daran liegen mag, dass die vom US-amerikanischen Architekten Louis Sullivan geprägte und für Gestalter­°innen seit rund 100 Jahren geltende Maxime «form follows function» hier meist eher minimalistisch inter­pretiert wird: Aus einem funktionalen wird nur zu oft ein möglichst günstiger Zweck­bau ohne gestalterischen Anspruch. Das ist schade. Denn häufig an den Rändern einer Ortschaft gelegen, nah an Auto­bahnen, Einfalls­strassen und Zug­trassees, bilden diese Bauten die ersten Eindrücke, die man von einem Ort erhält.

Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise der Möbel­hersteller Vitra in Weil am Rhein an seinem Produk­tions­standort. Die Hallen und Büro­bauten stammen von weltweit renommierten Architekten wie Frank O. Gehry, Zaha Hadid oder Herzog & de Meuron. Vitra bezeichnet den Standort folgerichtig als «Architektur­campus». Auch hier­zulande finden sich – vereinzelt – Beispiele für gelungene Gewerbe­bauten, wie aktuell zwei Beispiele aus Wolfhalden und St. Gallen zeigen.

Wohlfühl-Schreinerei in Wolfhalden

Gut, ausufernde Industriegebiete sind es nicht, die die Stadt­ränder im ausser­rhodischen Wolf­halden säumen. Statt­dessen ist die hügelige Topo­grafie eine Heraus­forderung. Eingeklemmt zwischen Landwirtschafts­betrieben und zunehmend auch Wohn­häusern, findet sich hier der eine oder andere mittel­ständische Industrie­betrieb, darunter die Bach Heiden AG. Die 1936 gegründete Schreinerei, heute auf die Herstellung hoch­wertiger Brandschutz­türen spezialisiert, hat ihren Standort am westlichen Rand von Wolfhalden bei Heiden. Inzwischen ist die Firma um eine weitere Produktions­halle gewachsen, das Grundstück wurde bis zum Maximum ausgenutzt.

2017 kam der Punkt, an dem der Bürotrakt aus den 1970er-Jahren nicht nur unattraktiv war, sondern auch flächen­mässig nicht mehr ausreichte. Die Eigentümer beschlossen, ihn durch einen Neubau zu ersetzen – bei laufendem Betrieb und teilweise auf den Mauern der bestehenden Fertigungs­hallen und Keller. Den Auftrag erhielt Brassel Architekten aus Zürich/St.Margrethen. Der neue Verwaltungs­trakt wirkt wie ein Scharnier zwischen den beiden Produktions­hallen aus verschiedenen Jahr­zehnten und verbindet die einzelnen Gebäude zu einem einzigen Komplex.

Im Erdgeschoss liegen Entrée, Personalbüro und ein kleiner Präsentationsbereich sowie die Garderoben und Duschen für die Mitarbeitenden. Dazu gehören auch die Büros im ersten Obergeschoss, die über eine Treppe zugänglich sind. Die acht Zwei- bis Dreipersonenbüros sind an der Südost- und Nordwestfassade des Baus angeordnet. Getrennt werden sie durch einen breiten Mittelgang, der als «Serviceschicht» Platz für Drucker und Plotter bietet und als Besprechungs- und Pausenraum genutzt werden kann.

Grosszügige Fenster und verglaste Trennwände erlauben den spektakulären Blick über den Bodensee bis weit hinaus nach Süddeutschland. Die Materialien – neben Glas viel Schweizer Holz, ein patinierter Hart­beton­boden und Wand­verkleidungen aus Filz – wirken schlicht und wohnlich. Auch die Fassade, begrünt und mit einem um­laufenden Balkon versehen, strahlt weit mehr Wohn- als Gewerbe­atmosphäre aus und passt sich damit der Nachbar­bebauung an. Die Dachterrasse für die Mit­arbeitenden inklusive Aufent­halts­raum ist das Tüpfelchen auf dem «i».

Präzisions-Aushängeschild in St. Gallen

Ganz anders ist die Ausgangs­lage in St. Gallen. Hier, am westlichen Rand der Stadt, reihen sich gesichtslose Hallen aneinander, Logistik­unternehmen wechseln sich ab mit Auto­händlern, Produktions­betriebe mit Gross­händlern. Seit dem Sommer wird dieses Konglomerat durch einen – je nach Licht­verhältnissen – schim­mern­den Schrein ergänzt. Die 1967 gegründete Firma HB Therm, spezialisiert auf Temperier­geräte für die kunststoff­verarbeitende Industrie, liess hier ihren neuen Firmensitz errichten. Dabei wählte sie ein für diese Art Bauaufgabe ungewöhnliches Vorgehen: Sie liess einen Architektur­wettbewerb mit vier Büros durch­führen, den Strut Architekten aus Winterthur für sich entscheiden konnte. Jene konzipierten einen Gebäude­komplex, der Arbeits­platz, Produktions­stätte und Aushänge­schild in einem ist.

Die Firma ist auf zwei Volumen aufgeteilt: die polygonale, eingeschossige Produktions­halle auf der Westseite und den vier­stöckigen Hauptbau mit Büros, Lager und Montage auf der Ostseite. Gemeinsam ist ihnen die Fassade aus unbehandeltem Aluminium, die beide gestalterisch zu einer Einheit zusammenfasst. In der Fertigungs­halle sind dies geschlossen wirkende, aber perforierte Aluminium­bleche, im Haupt­gebäude wechseln sich umlaufende Fenster­bänder ab mit geschlossenen Brüstungs­feldern. Die exakte Ausführung, die das Metall erlaubt, wirkt dabei wie ein Spiegel der hochpräzisen Geräte, die im Inneren hergestellt werden. Das kühle Metall zeigt sich bei der Besichtigung vor Ort erstaunlich facettenreich: Je nach Licht­verhältnissen, Tageszeit und Witterung zeigt es sich gleissend weiss, schimmernd oder auch abweisend. Und manchmal, vor einem grauen Himmel, verschwinden die Konturen und der Bau scheint sich in Luft aufzulösen.

Im Inneren ist dann wieder Pragmatismus gefragt: Die Konstruktion als Stahl­skelett­bau erlaubt eine grösst­mögliche Flexi­bilität in der Nutzung. Das ist auch einer der Gründe für das wohl charakteris­tischste Merkmal des Baus: die Erschliessungs­türme auf der Nord- und Südseite. Der Haupt­eingang liegt nämlich nicht wie vermutet im Erdgeschoss, stattdessen gelangt man über den Lift- oder den Treppen­haus­turm auf der Süd­seite direkt in die Büros im vierten Stock. Da es bei der HB Therm kaum Kunden­verkehr gibt, erlaubte diese zunächst unorthodoxe Lösung, das Erd­geschoss weitgehend stützenfrei zu bauen. Hier befindet sich das Lager, gefolgt von der Montage im ersten und zweiten Ober­geschoss sowie den Büros im Dach­geschoss.

Dort befinden sich auch die Kantine sowie Schulungs- und Besprechungs­räume. Vorherrschend ist ein Jeansblau in verschiedenen Nuancen. Für die Gestaltung zogen die Architekten die Zürcher Innen­architektin Jasmine Grego hinzu. Das Jeansblau ist ebenso Reminis­zenz an den Blau­mann wie Einladung an die Mitar­beitenden aus der Produktion, die Pausen- und Ruhe­räume der Büroetage ebenso zu nutzen wie die «white-collar workers».

Bildnachweis

Ladina Bischof

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