Werkplatz 2.0 – so geht’s auch
Gestaltung statt Beliebigkeit, Atmosphäre statt Billigbau – zwei Industriebauten in Wolfhalden und St.Gallen zeigen, wie Bauen für das produzierende Gewerbe heute aussehen kann. Eine Aufforderung zum Nachahmen.
Beitrag vom 30. November 2023
Text: Stefanie Haunschild
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Gewerbebauten finden selten den Weg in Architekturzeitschriften. Was daran liegen mag, dass die vom US-amerikanischen Architekten Louis Sullivan geprägte und für Gestalter°innen seit rund 100 Jahren geltende Maxime «form follows function» hier meist eher minimalistisch interpretiert wird: Aus einem funktionalen wird nur zu oft ein möglichst günstiger Zweckbau ohne gestalterischen Anspruch. Das ist schade. Denn häufig an den Rändern einer Ortschaft gelegen, nah an Autobahnen, Einfallsstrassen und Zugtrassees, bilden diese Bauten die ersten Eindrücke, die man von einem Ort erhält.
Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise der Möbelhersteller Vitra in Weil am Rhein an seinem Produktionsstandort. Die Hallen und Bürobauten stammen von weltweit renommierten Architekten wie Frank O. Gehry, Zaha Hadid oder Herzog & de Meuron. Vitra bezeichnet den Standort folgerichtig als «Architekturcampus». Auch hierzulande finden sich – vereinzelt – Beispiele für gelungene Gewerbebauten, wie aktuell zwei Beispiele aus Wolfhalden und St. Gallen zeigen.
Wohlfühl-Schreinerei in Wolfhalden
Gut, ausufernde Industriegebiete sind es nicht, die die Stadtränder im ausserrhodischen Wolfhalden säumen. Stattdessen ist die hügelige Topografie eine Herausforderung. Eingeklemmt zwischen Landwirtschaftsbetrieben und zunehmend auch Wohnhäusern, findet sich hier der eine oder andere mittelständische Industriebetrieb, darunter die Bach Heiden AG. Die 1936 gegründete Schreinerei, heute auf die Herstellung hochwertiger Brandschutztüren spezialisiert, hat ihren Standort am westlichen Rand von Wolfhalden bei Heiden. Inzwischen ist die Firma um eine weitere Produktionshalle gewachsen, das Grundstück wurde bis zum Maximum ausgenutzt.
2017 kam der Punkt, an dem der Bürotrakt aus den 1970er-Jahren nicht nur unattraktiv war, sondern auch flächenmässig nicht mehr ausreichte. Die Eigentümer beschlossen, ihn durch einen Neubau zu ersetzen – bei laufendem Betrieb und teilweise auf den Mauern der bestehenden Fertigungshallen und Keller. Den Auftrag erhielt Brassel Architekten aus Zürich/St.Margrethen. Der neue Verwaltungstrakt wirkt wie ein Scharnier zwischen den beiden Produktionshallen aus verschiedenen Jahrzehnten und verbindet die einzelnen Gebäude zu einem einzigen Komplex.
Im Erdgeschoss liegen Entrée, Personalbüro und ein kleiner Präsentationsbereich sowie die Garderoben und Duschen für die Mitarbeitenden. Dazu gehören auch die Büros im ersten Obergeschoss, die über eine Treppe zugänglich sind. Die acht Zwei- bis Dreipersonenbüros sind an der Südost- und Nordwestfassade des Baus angeordnet. Getrennt werden sie durch einen breiten Mittelgang, der als «Serviceschicht» Platz für Drucker und Plotter bietet und als Besprechungs- und Pausenraum genutzt werden kann.
Grosszügige Fenster und verglaste Trennwände erlauben den spektakulären Blick über den Bodensee bis weit hinaus nach Süddeutschland. Die Materialien – neben Glas viel Schweizer Holz, ein patinierter Hartbetonboden und Wandverkleidungen aus Filz – wirken schlicht und wohnlich. Auch die Fassade, begrünt und mit einem umlaufenden Balkon versehen, strahlt weit mehr Wohn- als Gewerbeatmosphäre aus und passt sich damit der Nachbarbebauung an. Die Dachterrasse für die Mitarbeitenden inklusive Aufenthaltsraum ist das Tüpfelchen auf dem «i».
Präzisions-Aushängeschild in St. Gallen
Ganz anders ist die Ausgangslage in St. Gallen. Hier, am westlichen Rand der Stadt, reihen sich gesichtslose Hallen aneinander, Logistikunternehmen wechseln sich ab mit Autohändlern, Produktionsbetriebe mit Grosshändlern. Seit dem Sommer wird dieses Konglomerat durch einen – je nach Lichtverhältnissen – schimmernden Schrein ergänzt. Die 1967 gegründete Firma HB Therm, spezialisiert auf Temperiergeräte für die kunststoffverarbeitende Industrie, liess hier ihren neuen Firmensitz errichten. Dabei wählte sie ein für diese Art Bauaufgabe ungewöhnliches Vorgehen: Sie liess einen Architekturwettbewerb mit vier Büros durchführen, den Strut Architekten aus Winterthur für sich entscheiden konnte. Jene konzipierten einen Gebäudekomplex, der Arbeitsplatz, Produktionsstätte und Aushängeschild in einem ist.
Die Firma ist auf zwei Volumen aufgeteilt: die polygonale, eingeschossige Produktionshalle auf der Westseite und den vierstöckigen Hauptbau mit Büros, Lager und Montage auf der Ostseite. Gemeinsam ist ihnen die Fassade aus unbehandeltem Aluminium, die beide gestalterisch zu einer Einheit zusammenfasst. In der Fertigungshalle sind dies geschlossen wirkende, aber perforierte Aluminiumbleche, im Hauptgebäude wechseln sich umlaufende Fensterbänder ab mit geschlossenen Brüstungsfeldern. Die exakte Ausführung, die das Metall erlaubt, wirkt dabei wie ein Spiegel der hochpräzisen Geräte, die im Inneren hergestellt werden. Das kühle Metall zeigt sich bei der Besichtigung vor Ort erstaunlich facettenreich: Je nach Lichtverhältnissen, Tageszeit und Witterung zeigt es sich gleissend weiss, schimmernd oder auch abweisend. Und manchmal, vor einem grauen Himmel, verschwinden die Konturen und der Bau scheint sich in Luft aufzulösen.
Im Inneren ist dann wieder Pragmatismus gefragt: Die Konstruktion als Stahlskelettbau erlaubt eine grösstmögliche Flexibilität in der Nutzung. Das ist auch einer der Gründe für das wohl charakteristischste Merkmal des Baus: die Erschliessungstürme auf der Nord- und Südseite. Der Haupteingang liegt nämlich nicht wie vermutet im Erdgeschoss, stattdessen gelangt man über den Lift- oder den Treppenhausturm auf der Südseite direkt in die Büros im vierten Stock. Da es bei der HB Therm kaum Kundenverkehr gibt, erlaubte diese zunächst unorthodoxe Lösung, das Erdgeschoss weitgehend stützenfrei zu bauen. Hier befindet sich das Lager, gefolgt von der Montage im ersten und zweiten Obergeschoss sowie den Büros im Dachgeschoss.
Dort befinden sich auch die Kantine sowie Schulungs- und Besprechungsräume. Vorherrschend ist ein Jeansblau in verschiedenen Nuancen. Für die Gestaltung zogen die Architekten die Zürcher Innenarchitektin Jasmine Grego hinzu. Das Jeansblau ist ebenso Reminiszenz an den Blaumann wie Einladung an die Mitarbeitenden aus der Produktion, die Pausen- und Ruheräume der Büroetage ebenso zu nutzen wie die «white-collar workers».
Bildnachweis
Ladina Bischof